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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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zufälligen Gästen am runden Tisch im Garten, trank den gewohnten Kaffee mit ihnen und plauderte. Wer dazukam, war ihr recht. Es schien, als habe sie unter den Eingesessenen im Dorf und in der umfänglichen Pfarrei keinen Feind. Die Gleichaltrigen sagten »Bäckin« zu ihr. Die Jüngeren nannten sie »Bäckermutter« oder kurzweg »Mutter«. Noch als Kinder hatte sie die meisten gesehen. Vor ihren Augen waren sie aufgewachsen und zu bärtigen Männern oder blühenden Müttern geworden. Für sie blieben sie wie die Kinder von einst, und sie rief sie stets mit den schmeichelhaft abgekürzten Vornamen, die ihnen die kosenden Mütter in frühester Jugendzeit gegeben hatten: das »Treuterer Marei« oder der »Kramerfeicht-Martei’«.
    Nichts liebte sie mehr als lustige Unterhaltungen, und je derber und drastischer es dabei zuging, um so fideler wurde sie. Es kam hin und wieder ein verkrümmter, glotzäugiger Vetter aus der weiteren Verwandtschaft, der Heiraten zusammenkuppelte, den Bäuerinnen die Stalldirnen vermittelte und sonstige kleine Gelegenheitsgeschäfte betrieb. Für ihn hatte sich die Zeit nicht verändert. Er lebte ärmlich und ein bißchen verwahrlost in der Wolfratshauser Gegend. Er ging alle Strecken zu Fuß. »Denn«, sagte er, »die Eisenbahn ist mir zu unsicher.« Beim Akkordmähen hatte er sich viele Inflationsbanknoten verdient, die er stets in einem kleinen Koffer mit sich herumtrug. »Mein Häusl könnt’ mir ja abbrennen, wenn ich grad nicht daheim bin, oder es könnt’ ein Lump einbrechen und mir das ganze Geld stehlen«, meinte er und war nicht davon zu überzeugen, daß dieses Geld nur noch wertloses Papier sei.
    »Was? … Was? … Ah, das gibt’s ja alsdann doch nicht! … Ausgeschlossen! Das wär’ ja der höhere Schwindel, wenn die droben uns armen Leut’ln ein falsches Geld geben würden, und sie tät’n das ganze Gold- und Silbergeld b’halten! … Ah! Ah, geh!« stritt er. »Du schlenkst mich nicht, Maurus! Wenn die Lumpen droben einen solchen Schwindel macherten, tät’ ihnen doch kein Mensch mehr trau’n und folgen!« Mit »die da oben« oder »die Lumpen droben« meinte er die Regierung, von der er nichts weiter wußte. Für ihn gab es nur den Papst in Rom, das Bezirksamt und die Gendarmen. Das fand er auch vollauf genug.
    »Geh doch einmal aufs Bezirksamt nach Wolfratshausen, Vetter, und sag, du willst für dein Papiergeld Silbergeld … Geh nur hin, dann wirst es schon sehen!« riet ihm der Maurus. Und wirklich – eines Tages kam der Vetter vor so ein Schalterfenster in Wolfratshausen.
    »Grüß Gott! … Ich bin der Hans von Weidach, Herr … Ich möcht’ da gern«, fing er an und kramte umständlich seine ersten Banknoten aus. Der Beamte war fassungslos und versuchte den Vetter zuerst herablassend als Schwachsinnigen zu behandeln, aber der wurde nach und nach ziemlich geradezu und aufsässig.
    »Was? … Was, das gilt nichts? Was, du Saulump, du! … Was? Ein falsches Geld habts uns geben, was?!« belferte er, und seine Glotzaugen traten noch mehr heraus. Er schlug seinen Koffer zu und plärrte zuletzt. Er wurde schließlich vom Gendarmen abgeführt und ein paar Tage eingesperrt, aber seinen Koffer gab er nicht aus der Hand. Er kam zu uns und stellte sich breitbeinig vor den Maurus: »Jetzt du bist doch ein ganz Raffinierter! … Haha, hm, schickt er mich da auf Wolfratshausen mit meinem Geld, und die sperren mich ein! … Du bist ein ganz großer Lump!«
    Doch auch das hatte seinen Glauben an die Gültigkeit der Inflationsbanknoten nicht im geringsten erschüttert.
    »Ich bin der Dümmere noch lang nicht!« sagte er verschmitzt. »Wart nur ab … In zehn oder zwölf Jahr’, wenn sich mein Geld richtig abgelegen hat, wird’s einen Haufen wert sein … Mich schlenkt keiner mehr!« Als echt bäuerlicher Mensch hoffte er, doch zu guter Letzt über alle zu triumphieren. Es brauchte zu allem nur Geduld und List.
    Dieser Vetter war mit unserer Mutter aufgewachsen und hatte sie als junges Mädchen offenbar einmal verehrt.
    »Resei!« fing er jedesmal an, wenn sie ihm statt des Kaffees einen Krug Bier hinstellte, »Resei, kannst dich noch erinnern, han? … Wenn deine Mutter mögen hätt’, dich hätt’ ich glattweg geheiratet!«
    »Ja, aber du bist mir zu klein und zu windig g’wesen, Hans!« lachte unsere Mutter.
    »Was … Zu klein und zu windig!« ereiferte sich der Vetter und schob seinen abgeschabten, grünen Filzhut ins Genick. »Jetzt da schau

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