Das Leben meiner Mutter (German Edition)
machten, er richte auch noch ihr »bißl Heimat« zugrunde. In Berg selber begegnete man ihm überall mit giftig-hämischer Feindschaft. Er galt als dreister Eindringling, als zweifelhafter Spekulant, welcher gleichsam das ganze Dorf mit Schande beflecke. Was sei es zu guter Letzt, redeten die Nachbarn: ein schändlicher Bankrott käme heraus, und man könne die ganze Stellmacher-Sippe als Dorfarme erhalten.
Und dabei erwogen schon manche, für welchen Preis sie das Stellmacherhaus einsteigern könnten. Sie teilten auch schon den schmalen Wiesenstreifen und den Kartoffelacker auf, der dazugehörte.
Dem Maxl entging das alles nicht. Scharf waren seine Augen und hellhörig seine Ohren. Aber er trug den Kopf hoch. Er zeigte sich überall, und nicht nur das! Sein hungriger Magen rumorte, die Sorgen und Ungewißheiten nagten in ihm, er aber gab sich stets beinahe herausfordernd heiter und lärmend gesellig. Er versoff nicht selten blutenden Herzens an den Sonntagen in der Postwirtschaft von Aufkirchen seine letzten paar Gulden, und jeder Kumpan war ihm dabei recht: arme Kriegskameraden, schlecht angeschriebene Kleinhäusler, Taglöhner, Maurer, Knechte und verrufene Vilzler. Andere gesellten sich sowieso nicht zu ihm, und im übrigen – nachdem man auseinandergegangen war, wußte der eine meistens nichts mehr vom andern. Je mehr dem Maxl bei einem solchen Zusammensein das Bier zu Kopf stieg, um so ausgelassener wurde er. Er schrie, als sitze nur er allein in der Wirtsstube. Er verstand es, sich jedem Ton anzupassen, und hatte zuweilen ein abstoßend unflätiges Mundwerk. Er schien ein abgebrüht zynischer Mensch zu sein, dem in solchen Augenblicken nichts heilig war, dem es nur darauf ankam, durch schlagfertige Antworten, Redewendungen und Witze Heiterkeit zu erzeugen und Beifall einzuheimsen. Oft ging es in der Runde, in welcher er saß, so heftig und ernsthaft zu, daß die Bauern an den Nebentischen ungut und gefährlich herüberschauten. Der Maxl schrie irgendeinen seiner Partner barsch an, warf ihm die beleidigendsten Schimpfworte an den Kopf, stand auf und plärrte noch drohender. Der Beschimpfte hatte sich ebenfalls erhoben. Jeder hielt den steinernen Maßkrug in der Hand, und einer überbrüllte den andern. Wie tolle Kampfhähne standen sie einander gegenüber. Alle in der Stube waren aufs höchste gespannt und machten sich auf eine wilde Rauferei gefaßt. Auf einmal aber schwang der Maxl den Krug, stieß mit seinem Kumpan an, und beide lachten krachend aus sich heraus: »Prosit, du Hundling, du gußeiserner! Sauf, windiger Haderlump, bevor ich dich niederschlag’!« Die Runde brach gleichfalls in ein wüstes Gelächter aus, und die zwei setzten sich wieder. Verärgert steckten die Bauern die Köpfe zusammen und gingen davon. In der späten Nacht trug der Wind manchmal den Lärm und Gesang der krawallsüchtigen Tischrunde nach Aufhausen hinunter. Dann murrten sie beim Heimrath mit Abscheu: »Schon wieder der versoffene Stellmacher-Maxl! So ein nichtsnutziges Mannsbild! Pfui Teufel!« Nicht nur die Heimrathin, alle Bauern waren darüber einig, daß das Weib, das den Kerl einmal zum Manne bekommen würde, wahrhaft höllenmäßig gestraft sei. Und, meinten die Leute, die Jungen, die vom Krieg heimgekommen wären und die jetzt aufwüchsen, das sei schon der Anfang vom Antichrist.
Auch an den Markttagen machte sich der Maxl sehr bemerkbar, und – wenngleich man ihm überall zu verstehen gab, daß er unerwünscht sei – er schämte sich nicht einmal, in die umliegenden Dörfer zu kommen, wenn Kirchweih gehalten wurde. Nach dem Herkommen mußte an einem solchen Tag, da man dem Schutzpatron des Dorfes seine fromme Ehrerbietung darbrachte, jeder Bauer Verwandte und zufällige Gäste mit Speis’ und Trank bewirten und konnte niemanden abweisen. Da gab es ausnahmsweise Fleisch, in Schmalz gebackene Nudeln und sogar Braten zur Mittags- und Nachtmahlzeit, und am Bier durfte nicht gespart werden. Zum Schluß bekamen die Gäste meistens noch Nudeln mit auf den Weg. Es läßt sich denken, daß der Maxl oft sehr angeheitert von einer solchen Kirchweih zurückkehrte. Gierig verzehrten die Stellmacherischen alles, was er mitbrachte, dennoch sagte Maxls Schwester, die Stasl, einmal sehr herabmindernd zu ihm: »Pfui Teufel, Charakter hast du überhaupt keinen! Keiner will dich, aber das merkst du gar nicht!«
Der Maxl stand ein wenig schwankend da, schaute sie glasig an und lachte scheinbar unangefochten: »Charakter
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