Das Leben meiner Mutter (German Edition)
und knochendürr war er und sah weit älter aus als Menschen in seinem Alter. Er hatte auch ganz andere Ansichten und Interessen als sie. Das stärkte und isolierte ihn zugleich. Er las hin und wieder eine Zeitung, welche die Sommerfrischler mitbrachten, beschäftigte sich mit den zwei oder drei Geschichtsbüchern, die er aus dem Aiblinger Spital heimgebracht hatte, und er war der einzige, der offen seine Sympathie für Bismarck bekundete. In diesem Mann, den er in Frankreich zweimal gesehen hatte, sah er – ohne dabei an dessen Kriegerisches zu denken – gleichsam eine Art von Vorbild. Er verglich sich im Innersten mit dem kühnen Kanzler. Was dieser im Großen, in der Politik, mitunter für listige Wege einschlug und wie er sich zum Schlusse doch immer wieder gegen eine Welt von Widersachern durchsetzte, das schien dem Maxl auch für das kleine Leben richtig und tauglich zu sein. Heiter schrie er manchmal in die Runde seiner Wirtshaus-Kumpane: »Ah was! ah was! Es gibt keine Not! Man braucht ihr bloß keinen Schwung lassen!« Und wiewohl er mit Eltern und Geschwistern beständig auf dem Kriegsfuß stand, er versuchte nicht selten, ihnen seine Pläne begreiflich zu machen. Er war kein kalter Menschenverachter und Rechner wie der Kastenjakl, dessen Unternehmungslust er schätzte und bewunderte, den er aber nicht sonderlich mochte. Er ging nur deshalb so freundlich und behutsam mit ihm um, weil er dabei lernte und gewann. Der Maxl hätte oft und gerne von irgendwem ein gutes Wort gehört und wäre tief dankbar dafür gewesen. Er hungerte nach Anteilnahme und suchte echte Freunde, denn schließlich kann niemand das eisige Alleinsein ertragen. Es zerbricht ihn oder es macht ihn vor der Zeit düster und krank.
»Versteht mich doch«, sagte er einmal zu seiner jüngeren Schwester Kathl, die sich als Flicknäherin kümmerlich fortbrachte und meistens außer Haus arbeitete, »ich bin doch kein Bauer, ich bin ein Geschäftsmann! Das ist doch ein Unterschied! Ich muß saufen, ich muß beliebt werden! Beliebtheit ist genau so ein Kredit wie bares Geld, und ohne Kredit ist kein Geschäft zu machen!« Mit der Kathl, welche die Streitigkeiten im Hause gewissermaßen immer erst aus zweiter Hand erfuhr, war noch am ehesten zu reden.
»Du mußt es ja wissen, Maxl«, sagte sie nicht kalt und nicht warm, »zuletzt wird man es ja sehen.« Die Stasl, die schweigend daneben saß und einen Strumpf stopfte, hob den Kopf nicht und warf feindselig hin: »Ja, wenn unser ganzes Zeug beim Teufel ist!« Der Maxl stockte kurz, stand auf und rief mit verhaltener Wut: »Am End’ seid ihr alle noch froh, wenn ich euch aus dem Dreck helf’!« Er ging zur Türe.
»Schau nur, daß du aus dem Dreck kommst! Wir brauchen dich nicht!« höhnte die Stasl. Er schlug krachend die Tür zu.
Eine Weile schwiegen die Schwestern.
»Er sollt’ heiraten«, brummte die Kathl, »es gibt doch Bauerntöchter genug.« – »Der? – Den nimmt doch in Ewigkeit keine! Und eine mit Geld schon gar nicht!« erwiderte die Stasl und setzte dazu: »Und daß er genau so eine Notige ’reinbringt, wie wir sind, dafür dank’ ich schön.«
»Mein Gott!« meinte die Kathl müd’ und versöhnlich, »oft schaut er aus, der Maxl, als ob er sich selber nicht mag! Ich möcht’ nicht in seiner Haut stecken.«
»Ja, wenn er daheim ist! Im Wirtshaus ist er kreuzlustig!« antwortete die Stasl, und sie kamen auf Lorenz, ihren anderen Bruder, zu sprechen, der nun bald vom Militär heimkommen mußte.
»Gott sei Dank!« schloß die Stasl, »der ist doch wenigstens ein Mannsbild! Der kommt auf gegen ihn! Mit uns treibt er ja rein Schindluder!«
In vieler Hinsicht geriet die Stasl dem alten Stellmacher nach. Sie war unnachgiebig und verrannt. Ihr wenig ansprechendes Gesicht mit der energischen Sattelnase und den ekkigen Backenknochen verriet viel eher männliche Herrschsucht als frauenhafte Anpassung. Der breite, starklippige Mund verlieh ihm einen leicht ordinären Zug, und die grauen Augen unter den dichten schwarzen Brauen sahen kalt drein, unbarmherzig und höhnisch. Sie war größer als der Maxl, trotz ihrer sonstigen Hagerkeit vollbusig, und sie besaß dieselben geraden, breiten Schultern wie der Stellmacher. Nichts an ihr war zart. Ihre Stimme hatte keinen Klang, ihre Bewegungen waren unweiblich. Sie kannte nur ihre allereigensten Interessen und kam sich stets betrogen vor. Es war unmöglich, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Nichts haßte sie am Maxl so als seinen
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