Das Leben meiner Mutter (German Edition)
hin.
»Jaja, das denk’ ich mir ja auch«, schloß die Heimrathin und mahnte endlich daran, zu Bett zu gehen. –
Schmerzhafte Zwischenfälle
Langsam und lautlos verblich der schwermütige Herbst in den Wäldern und auf den Fluren. Noch in der Novembermitte zeigten die nur schwach entlaubten Birken- und Buchenbäume ihre farbige Pracht. Das bewegte, helle Gelb der einen und das tiefe Weinrot der anderen leuchtete wunderbar aus dem starren Dunkel der Fichten und Tannen. Die Bauern klagten darüber, denn was half ihnen all die unbeachtete, gewohnte und durchaus zwecklose Schönheit! Um diese Zeit konnte man sonst in den Wäldern schon im dürren Laub waten, und das gab reichlich gute, billige Einstreu fürs Vieh.
Weithin ausgeflacht oder hügelan und hügelab streckten sich die abgeernteten Stoppelfelder, auf welche von Zeit zu Zeit dichte Krähenschwärme niederflogen und Würmer und Engerlinge aus der Erde pickten. Auf den kurzgrasigen, schmutzig grünen Wiesenflächen weidete das Vieh. Seitab um ein qualmendes Feuer hockten Kinder, die hüteten, und die blechern klingenden Kuhglocken verhallten seltsam melancholisch in der reglosen Luft. Die leeren Kartoffeloder frischgepflügten Getreideäcker mit ihren langen, regelmäßig gezogenen Furchen glichen braunschwarzen, riesigen, dicken Trauerteppichen, die düster zwischen die Wiesen gebreitet waren. Manchmal ackerte noch ein Bauer. Ein Knecht fuhr mit dem Jauchewagen über ein Feld, oder Mägde streuten den gehäuften Dünger umher. Ganz nah, wie scharf aus der Landschaft herausgemeißelt, erschienen die Häuser und Kirchen der Dörfer, und über alles wölbte sich, einer hohen Kuppel gleich, das zarte, liebliche Blau des glasklaren Himmels. Der glatte See im weiten Tal hatte seine stumpfe, dunkle, unbestimmbare graugrüne Herbstfarbe angenommen.
Schwerbeladene Torffuhren ächzten am Heimrathhof vorüber. Die davorgespannten Pferde oder Ochsen der »Vilzler« sahen ausgemergelt aus und prusteten schwer. Die Tage wurden immer kürzer, dicht und immer dichter wurden die Morgen- und Abendnebel, kalte Fröste überzogen die Flächen mit Reif, und an einem Tag fiel dünner Schnee, setzte den Gartenpfählen weiße Kapuzen auf, blieb liegen auf den Dächern und vermummte allmählich die ganze Gegend.
Beim Heimrath wollte der Verdruß in jenen Monaten nicht abreißen. Einmal an einem Herbsttag, als nur die Bäuerin allein im Haus war, waren zwei unheimliche, braunhäutige Zigeunerinnen mit einem noch gefährlicher aussehenden Mann in die Kuchl gekommen und hatten sie so zerredet, bedrängt und eingeschüchtert durch ihre beschwörenden Drohungen, daß sie sich nicht mehr zu helfen wußte. Weglaufen auf die weitverstreuten Felder, um Hilfe zu holen, schien nicht geraten. Die unheimlichen Besucher hätten nicht nur haufenweise gestohlen, sie wären wahrscheinlich auch in den Stall gegangen, hätten irgend etwas ins Futter gemischt und das Vieh verhext. Also ergab sich die Bäuerin, wenn auch noch so abweisend und zögernd, in ihr Mißgeschick. Sie spendete Milch und Nudeln, sie füllte einen Sack Mehl und einen Sack Hafer ein, sie holte Geld und beschwor, nicht mehr zu haben. Eine Zigeunerin ergriff ihre zitternde Hand, überflog die Linien derselben und schielte die Bäuerin von unten her mit funkelnden Augen an, indem sie kauderwelschte: »O Jeusas Chrischt! … O Jeusas Chrischt, schlächt spriacht Bairin! Koin Glick wird kummen über sie! Tuifelach ist schon auf der Weg!« Und immer krampfhafter umspannte sie die Hand der Heimrathin, immer näher rückte sie mit Gesicht und Körper auf sie, verdrehte die Augen und hauchte sie an mit heißem Atem, während die anderen zwei, das jüngere Weib und der Mann, in der Kuchl herumspähten.
»Bairin kann gäbn und wird greußes Glick, wird haben Sägen, wenn sie arme, gute Zigeiner Spend gibt!« rief die beschwörende Zigeunerin abermals, und je mehr die Heimrathin zurückwich, um so aufdringlicher rückte sie ihr auf den Leib.
»Stall vuller Viehch!« glaubte die Heimrathin einmal zu verstehen, und schaute ängstlich auf den Mann, der schon auf die hintere Tür zugehen wollte.
»Um Gottes Himmels Christi willen, bleibt’s da! Ich hab’ nichts mehr! Ich kann euch nichts mehr geben!« schrie sie, und da gaben ihr die drei zu verstehen, daß sie doch fünf ausgewachsene Töchter habe, die alle schönen Schmuck hätten.
»Glick wird sein, und es werd sein Sägen, und werden jedes erwuschen guten Mann, aber gäbert ihr
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