Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Silberzeig!« forderte die alte Zigeunerin und grimassierte bald drohend, bald freundlich: »a sunsten bäser Fluch und Unglick über dich und Haus und Hof!« Der sonst so groben, couragierten Bäuerin standen die Schweißperlen auf dem Gesicht, und sie gab jeden Widerstand auf. Sie holte die fünf golddurchwirkten Riegelhauben, die Silberschnüre und Anstecknadeln samt den reichbestickten Miedern ihrer Töchter, legte noch zwei Laib Brot und den letzten Klumpen Butter dazu, und endlich zogen die drei schrecklichen Besucher nach allerhand sonderbar klingenden Dank- und Segensworten ab. Der Hund rührte sich nicht, als sie über den Hof gingen und auf die Straße traten. Die Heimrathin wagte nicht, ihnen nachzuschauen. Etliche Augenblicke lang stand sie verstört da, dann brach sie erschöpft auf die Knie nieder und fing, zerstoßen in sich hineinweinend, laut zu beten an. Es fiel ihr nichts anderes ein, denn Zigeuner waren wie ein Fatum. Etwas gegen sie zu unternehmen, brachte erst recht Fluch und Unglück. Sie ging schließlich mit der Weihwasserflasche durch alle Räume und besprengte sich, das Vieh, die Wände und die Möbel.
Als am Abend die Aufhauser von den Feldern zurückkamen, erzählte sie ihr Unglück. Ihre Töchter schauten angstvoll demütig drein, und auch die Liesl schwieg benommen. Der Much-Girgl und der erste Knecht jedoch schlugen vor, gleich nach Wolfratshausen zu fahren und bei der Gendarmeriestation alles anzuzeigen. Die Heimrathin verbot ihnen das streng und barsch, denn – meinte sie – es sei mit dem Unglück schon genug. Sie suchte am andern Tag den Pfarrer von Aufkirchen auf, und der riet ihr, sie sollte doch wieder einen Baumeister nehmen. Im übrigen kam er und weihte Hof und Stall und Haus von neuem. Dafür ließ die Bäuerin drei Messen lesen.
Am darauffolgenden Sonntag – es fing gerade zu schneien an – ging der Much-Girgl nach langer Zeit wieder einmal in den Vilz hinüber. Die Drohungen von einst waren längst verweht und vergessen. Es wurde Zeit zur Stallarbeit, wurde Nacht und Frühe, und der Girgl war immer noch nicht zurückgekommen. Die zwei Heimrathknechte fuhren ins Holz und fanden seitab von der Wolfratshausener Straße einen eingeschneiten Toten. Sie drehten ihn um und erkannten den Girgl. Er war voller Blut und wies vier Messerstiche im Rücken auf. Die Knechte luden ihn auf das Fuhrwerk und brachten ihn nach Aufhausen. Da gab es ein großes Klagen. Die Resl weinte am meisten. Die Heimrathin faßte sich endlich und fing zu raten an. Für sie stand dieser Mord einzig und allein mit den Zigeunern in Zusammenhang. Sie mußten gewittert haben, daß der Girgl sie anzeigen wollte. Nun hatte ihn ihre Rache erreicht.
»Da hat er’s jetzt! Ich hab’s euch gleich gesagt, daß sowas schlecht ausgeht!« sagte die Bäuerin ungut zu den Knechten, und die schauten betroffen drein. Wieder ging sie auf der Stelle zum Pfarrer nach Aufkirchen. Voller Bangnis und ganz ratlos war sie. An den toten Girgl dachte sie dabei am allerwenigsten, sie ärgerte sich sogar darüber, daß er vorgestern in den Vilz gegangen sei. Sie erwog nur, was nun noch alles über sie, über die Ihrigen und den Hof hereinbrechen würde. Soviel sie sich aber auch dagegen wehren mochte, der geistliche Herr bestand darauf, daß die Untat ungesäumt bei der Wolfratshausener Gendarmeriestation zur Anzeige gebracht werden müsse. Bedrückt fügte sich die Bäuerin darein und schickte den ersten Knecht dorthin. Im letzten Augenblick ließ sie noch den zweiten, den Hans, mitfahren, denn – weiß Gott – es konnte wieder was vorfallen. Im Pfarrdorf und in der Umgegend hatte sich der Mord schon herumgesprochen. Allgemein wurde der Girgl betrauert, überall waren die Leute empört über die Mörder.
Am Nachmittag fuhren die zwei Knechte in den Aufhauser Hof ein, und der Oberwachtmeister mit zwei Gendarmen saßen auf dem Fuhrwerk. Alle Heimraths ließen die Arbeit liegen, und dumpfe Aufregung füllte ihr Gemüt. Sie kamen in die Kuchl. Da saß, flankiert von den Gendarmen, der dicke Oberwachtmeister und hatte bereits mit dem Ausfragen begonnen. Scheu schauten die Heimrathtöchter auf die uniformierten Amtsleute und schlugen, wenn sie merkten, daß ein Gendarm sie musterte, die Augen nieder. Der Oberwachtmeister hatte zu all dem keine Zeit. Er bedrängte die Heimrathin mit Fragen, und es war wirklich auffällig, wie unsicher und wortkarg diese stets antwortete.
»Na! Nana! Du bist doch sonst nicht so maulfaul!«
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