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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Dispens erteilt habe, in Aufhausen zu melden, daß er – der Gauzner-Michl – damals die Leinenballen gestohlen habe. Er bitte in seiner Sterbestunde um gnädige Vergebung, und das Leinen sei von ihm noch in derselbigen Nacht an fahrende Stoffhausierer verkauft worden, die gleich Reißaus genommen hätten. Er habe aber für seine arme sündige Seele in der Wolfratshausener Pfarrkirche eine alljährliche Messe bestellt.
    »Also doch! Doch hat der Girgl selig recht gehabt!« platzte die Heimrathin heraus, indessen, als sie in das würdige Gesicht des Pfarrers schaute, änderte sie im Nu ihre Miene.
    »Herr, vergib ihm seine Sünden«, sagte der Geistliche mit milder Stimme, und sie bekreuzigte sich …
    Diese so unerwartet aufeinander gefolgten Vorkommnisse veranlaßten die Heimrathin, aufs neue einen Baumeister zu nehmen. Der vom Pfarrer empfohlene Blasl-Peter kam auf den Hof. Er schrieb sich eigentlich Peter Wach, doch das Haus in Aufkirchen, aus dem er stammte, wurde allgemein »beim Blasl« genannt. Er war kaum dreißig Jahre alt, mittelgroß und kräftig, hatte ein unfrohes Sommersprossengesicht mit spitzzulaufender gebogener Nase, brandrote Haare und einen ebensolchen Schnurrbart. Das auffallendste an ihm waren die großen, fast runden, stark herausgedrückten wasserblauen Glotzaugen, die an einen Frosch erinnerten. Froschig – hätte man sagen können – war auch Peters Naturell. Nicht etwa ein behender, hurtiger Laubfrosch, sondern eine plumpe, beharrliche Kröte war er, der gewissermaßen der dickste Dreck nichts anzuhaben vermochte, die immer wieder obenauf kam. Er sprach langsam und sehr wenig. Gewiß sonderte er sich nicht ab, doch er blieb ein ungeliebter Fremder inmitten der Heimrathleute. Er nahm nicht teil an ihren Freuden und Leiden. Jede Gemütlichkeit ging ihm ab. Unergründlich abwesend schien sein einfältiges, grämlich starres Gesicht zu sein, und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, daß er leicht schielte. Sein Geschau zielte ständig ins Leere, wenn er mit jemandem redete. Mechanisch bewegten sich dabei seine Lippen, kein Wort hatte irgend einen besonderen Ton, die Miene blieb gebärdenlos, und nicht einmal bis zu einem gefrorenen Grinsen brachte es der Peter jemals. Die einen glaubten, er sei tückisch, die anderen hielten ihn für blöde, keiner jedoch kannte sich mit ihm aus. Er arbeitete stur und stets gleichmäßig. Nie war ihm etwas zu viel, und Müdigkeit kannte er nicht. Er verstand sie auch bei anderen nicht. An Knauserigkeit überbot er den Jani-Hans weit, und was dessen Frömmigkeit anlangte, so stand ihm der jetzige Baumeister nicht nach. Nur war diese Eigenschaft bei Peter von anderer Art: unaufdringlich und scheinbar absichtslos, nüchtern wie eine uralte Gewohnheit und unverrückbar starr.
    Die Genovev war die einzige, der das alles zu gefallen schien. Die Heimrathin wußte mit dem neuen Baumeister nicht viel anzufangen, allein sie war mit den Jahren und besonders durch die letzten verdrießlichen Erlebnisse kleinmütig und müde geworden und überließ ihm, nachdem sie gesehen hatte, daß er es recht machte, gerne das Regiment über die Dienstboten. Der Peter handelte auch nie gegen sie, im Gegenteil, er besprach stets alles Wichtige mit ihr, machte nur höchst selten einen Einwurf und blieb im wesentlichen immer nur der Ausführende ihrer Anordnungen und Ansichten. Mit ihm aber zog etwas Muffiges, Unlustiges, fast Greisenhaftes in den Heimrathhof. Wer genau zu beobachten verstand, merkte alsbald, wie die ehemals so lebendige, in sich geschlossene Gemeinschaft langsam zerbröckelte. Die lebhafteren unter den großgewachsenen Töchtern, die Resl, die Marie und die Nani (wie die spindeldürre Anna geheißen wurde), entfremdeten sich der Mutter immer mehr und schlugen sich ganz auf die Seite der Dienstboten. Die Genovev und die Kathl bildeten mit dem Peter einen eigenen Kreis, und die Bäuerin stand wiederum als zwar beherrschende, keineswegs aber beeinflussende Kraft allein da. Sie hatte nie etwas Gewinnendes gehabt, nun aber – vielleicht aus verborgener, unbewußter Ahnung – wurde sie immer enger, eigensinniger, schroffer und sogar tyrannisch, was zur Folge hatte, daß ihr jeder Mensch vorsichtig aus dem Wege ging. Altgewohnt folgten ihr die Aufhauser, indessen ein Tyrann findet keine Liebe mehr. Aus Not oder Friedfertigkeit widerspricht man ihm nicht, verschweigt ihm alles und belügt ihn stets. Insgeheim gibt man ihm immer tief unrecht.
    Es war aber

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