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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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habe, wie peinvoll dieses Kaffeetrinken für sie gewesen sei.
    »Ich hab’ mich ja Sünden gefürchtet! Ich hab’ ja lügen müssen!« beteuerte sie verbrummt, denn »Lau’bua« und »Na-na’ ia Of« – also »Lausbub« und »narrischer Tropf« – habe der Zwerg die Majestät öfter genannt und mit seinen klebrigen Kuchenfingern dessen feines Gewand betappt. Doch sie mußte zugeben, daß der König ein sehr legerer Mensch sei, grundgut und natürlich wie selten einer, und ein überaus stattliches, bildsauberes Mannsbild.
    »Ma-Magl!« drängte sich der Zwerg an seinen Bruder und zeigte das Talerstück: »Magl, Höni hod mi schenkt … huata Mens …«
    »Jaja, Resei, unser König ist ein braver, guter Mensch! Den Taler heben wir auf!« antwortete dieser lächelnd, aber um alles in der Welt gab der Zwerg das Geldstück nicht aus der Hand. Er fing mürrisch zu klagen an, schimpfte und weinte zuletzt, bis man ihn in Ruhe ließ.
    Eine freudige Erregung beherrschte die Stellmachers den ganzen Tag. Nach Feierabend saßen sie in der Stube und der phantasievolle Maxl entwarf weitgreifende Pläne. Er kam vom Hundersten ins Tausendste, zog seine wenigen Geschichtskenntnisse heran und meinte, es sei gar nicht ausgeschlossen, daß der König das Resei an seinen Hof nehme, denn früher hätten solche Herrscher stets Zwerge als Narren gehalten. Die alte Stellmacherin bekam dabei ein wehes, besorgtes Gesicht. Hoffentlich, äußerte sie sich, passiere so etwas nicht, das Resei sei zwar ein Zwerg, aber doch ihr Kind und kein Stück Vieh. Da wurde der Maxl kurz verlegen und sprach von etwas anderem.
    Tags darauf brachte der Kabinettssekretär ein gerahmtes Bild des Königs mit eigenhändiger Unterschrift. Es stellte den Monarchen in Zivilkleidung mit steifem Hut dar. Ernst und gebieterisch sah das Gesicht aus, ein wenig starr blickten die dunklen Augen drein, faltenlos waren Stirn und Mundpartie, und der dichte, dunkle Schnurr- und Spitzbart waren sorgfältig zurechtgekämmt. Gleichzeitig erhielt der Maxl den Auftrag, täglich weiches Weißbrot und dünne Wecken an den königlichen Hof zu liefern.
    »Weich! Verstehen Sie! Weich, das ist das Wichtigste!« betonte der hohe Herr, »Majestät legen darauf größten Wert! Bewähren Sie sich, Herr Bäckermeister! Es kann Ihr Glück sein! – Das andere erfahren Sie bei unserem Herrn Küchenchef, melden Sie sich heute noch dort.« Der Maxl, wiewohl er sich nicht vorstellen konnte, auf welche Weise neugebackene Semmeln die Röschheit verlieren könnten, nickte nur immerzu und war ziemlich ratlos, als der Kabinettssekretär das Haus verlassen hatte. Aber ein unbeschreiblicher Triumph bezwang alle diese Bedenken, wenn er an den Neid der feindseligen Berger und an die Zukunft dachte. Nach dem Mittagessen zog er sein bestes Gewand an, vergaß nicht, die Schleife des Eisernen Kreuzes anzuheften, ging ins Schloß hinunter und meldete sich beim Küchenchef. Der dicke, asthmatische, etwas schlampige Mensch redete mit ihm wie mit seinesgleichen. Er war ein erstklassiger Fachmann, der die ganze Welt bereist hatte und alle Küchengeheimnisse, aber auch alle schrulligen Eigenarten seiner jeweiligen Herrschaft genau kannte. Breit, fett und stiernackig saß er dem Maxl gegenüber, paffte an einer sehr dunklen Virginia, fuhr sich ab und zu mit der dickfingerigen Hand durch den aufgedrehten schwarzen Schnurrbart, lächelte unverblüfft, als der Bäcker seine Bedenken schüchtern äußerte und brummte: »Aber was, Herr Graf, wir verstehn uns doch! Weiches Brot? Naja, Sie liefern mir Semmeln vom Tag vorher! Ich stell’ sie in die Kühlkammer, und die Sache hat sich gehoben … Majestät haben, unter uns gesagt, miserable Zähne, davon kommt das!« Er redete allerhand und schien sich keinen Zwang aufzuerlegen. Ihn brauchte man, das war schnell zu erraten. Für den Maxl bedeutete er etwas wie ein Tor in eine ergiebige Zeit. Er war soviel wie der Fels, aus dem die Goldquelle sprudelte, wenn man nur einmal ein gehörig tiefes Loch hineingeschlagen hatte.
    In der nächsten Zeit gäbe es besonders große Bestellungen, erzählte der gemütliche Küchenchef. Richard Wagners Opern seien im kürzlich vollendeten Bayreuther Festspielhaus gespielt worden, der deutsche Kaiser, der König und viele Monarchen und Fürsten des In- und Auslands hätten die glanzvollen Aufführungen besucht. Die ganze große Welt ströme herbei, und demnächst sei der Besuch der russischen Kaiserin auf dem Berger Schloß

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