Das Leben nach dem Happy End
fand, ich dachte, es sei sein Oberarm.«
»Und stattdessen war es eine Tür?«
»Nein, es war mein eigener Schlafsack. Er hatte so einen glatten Stoff, wie die Haut an den Oberarmen junger Männer.«
»Du liebe Güte!«
»Ich dachte mir, so etwas müsse man seiner Tochter mit auf den Weg geben. Also schrieb ich es auf.«
»Aber so viele –« Sie zeigte mit verlorener Miene zum Dachboden, und ich fühlte mich auf der Stelle genauso verloren. Niemand wollte das alles lesen, nicht einmal ich.
»Kennst du Martin Guerre?«, fragte ich. »Er liegt zusammengerollt oben in Hallands Zimmer. Keine Wand in diesem Haus ist groß genug für dieses Monstrum.«
»Was?«, fragte Abby.
»Martin Guerre hatte seine Familie und sein Dorf verlassen. Dann kam Arnaud du Tilh und gab sich als Martin Guerre aus, und alle ließen sich an der Nase herumführen, sogar seine eigene Frau. Vielleicht.«
»Wovon redest du?«
»Erkennst du mich wieder?«, fragte ich.
»Was meinst du?«
»Erkennst du? Mich wieder? Spreche ich so, wie deine Mutter sprach, als du klein warst, bin ich menschlicher geworden, oder bin ich noch immer ein Monster, oder umgekehrt, oder was bin ich, kannst du nicht irgendetwas dazu sagen, wer ich bin?«
Sie schwieg lange. »Du bist irgendwie ein bisschen verrückt«, sagte sie dann.
»Und du bist verliebt«, sagte ich. »Ich wünschte, ich wäre an deiner Stelle.«
27
»(An der Tür hört man läuten.)
Mr. Smith: Nanu, es klingelt.
Mrs. Smith: Das muss jemand sein.
Ich will nachschauen.«
Die kahle Sängerin , Eugène Ionesco
Mein Opa war tot. Ich weinte nicht. Abby war noch immer bei mir, als meine Mutter sie anrief und es erzählte. Mich rief sie nicht an, aber ich wusste es sowieso schon. Wenn ich genauer darüber nachdachte, war sie vermutlich beleidigt, weil ich ihr nicht erzählt hatte, wann Halland beerdigt wurde. Es sähe ihr ähnlich, die Rechnung begleichen zu wollen und die eine Beerdigung mit der anderen abzugelten. Abby wollte mich gern dorthin begleiten, aber ich war kein bisschen gerührt darüber. Ich konnte auf den Anblick meiner Mutter verzichten, und seit ich die Stimme meines Opas am Telefon gehört hatte, sehnte ich mich nicht mehr nach ihm. Er war ein verbitterter und zorniger Mann gewesen, und das hatte ich vergessen, bis ich ihn mich innerhalb von zwei Minuten fünf Mal »mein Mädchen« nennen hörte. Meiner Meinung nach war es praktisch auch gar nicht möglich, an der Beerdigung teilzunehmen. Sie fand am Montag statt, aber Sonntagnachmittag sollte ich in einer Bibliothek in Jütland einen Vortrag halten, und es wäre wohl schwierig gewesen, rechtzeitig nach Reading zu gelangen, davon überzeugte ich mich augenblicklich. Für mich stellte es eine unüberwindbare Hürde dar, dem Veranstalter zu erklären, dass mein Mann gestorben war, und meinen Großvater wollte ich auch nicht als Ausrede vorschieben. Am leichtesten war es, einfach dorthin zu gehen und alles wie vereinbart zu erledigen, dann blieb es mir erspart, einen wildfremden Mann in mein Leben und meinen Alltag einzuweihen. Ich war zwar in der Tat auf der Titelseite einer Boulevardzeitung zu sehen gewesen, doch die Überschrift hatte gelautet: SCHRIFTSTELLERIN IN TRAUER . Es hätte jede sein können, davon abgesehen, dass man Pernille auf dem Foto am deutlichsten sah. Abby hatte mich gefragt, wer sie war. »Liest du etwa solche Blätter?«, hatte ich nur geantwortet.
Funder hatte Hallands Laptop bekommen, und ich hatte nicht von dem Zimmer erzählt, aber das brauchte ich auch nicht, die Polizei war furchtbar schlau. Mittwochvormittag rief Pernille an und sagte, dass sie bei ihr vor der Wohnung ständen und Hallands Zimmer sehen wollten. »Dann lass sie doch rein«, sagte ich. »Sie haben einen eigenen Schlüssel.« Es war eine Befreiung, mit dem Zug davonzufahren, ich hatte einfach nur meine Tasche genommen, die parat zu haben Halland mir für diese Ausflüge beigebracht hatte, und im Zug holte ich mein Handy heraus und lud es in der Steckdose auf, während ich in einer Zeitung Kreuzworträtsel löste und versuchte, so wenig wie möglich nachzudenken.
SCHMERZ-WEH, AUSRUF-ACH, SENKE-TAL, HALBIEREN-TEILEN, MÄNNLICHES TIER-BOCK.
Ich hatte eine SMS von meinem Lektor erhalten, der einer der wenigen war, die meine Handynummer hatten. Er könne mich auf meiner anderen Nummer nicht erreichen, ob ich nicht zurückrufen wolle. Die Nachricht war vom Tag, an dem Halland starb. Ich löschte sie.
Obwohl ich den Veranstalter nie zuvor
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