Das Leben nach dem Happy End
schüttelte den Kopf und war sehr verlegen. Nach dem gestrigen Abend war es ziemlich schwer, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und seine Abstinenz zu beteuern. Der Gast hatte mich mit dem Hausmeister tanzen sehen, so war ich nicht, wenn ich nüchtern war. Außerdem hatte ich ihm selbst Aquavit vorgesetzt, ganz ohne Roggenbrot und Hering dazu. Es war am besten, nichts zu sagen, ich wollte mich auch nicht mit Abby streiten, aber ihre Verachtung war so spürbar, dass ich die Hand danach ausstrecken und sie hätte berühren können.
»Wo zum Teufel kann Brandt denn nur stecken?«, fragte ich im Plauderton. Obwohl ich auf meinen Teller hinabsah, registrierte ich den Blick, den sie sich über den Tisch hinweg zuwarfen, aber natürlich nicht, was in dem Blick steckte, nur dass er da war, und lang war. Sie antworteten nicht. »Kennt ihr euch eigentlich?«, sagte ich und legte Messer und Gabel beiseite. »Ich meine, abgesehen von heute?«
»Nein, wirkt das so?«, fragte Abby begeistert.
»Ja, in der Tat«, sagte ich. Er musste viel, viel älter sein als sie. Wie viel, konnte ich jedoch nicht ausmachen, ich war unfähig, das Alter der Leute zu schätzen. Meiner Einschätzung nach fuhren heutzutage Konfirmanden Auto und Teenager berieten mich in der Bank. Die Rentner erwiesen sich als meine Altersgenossen. »Was machen Sie eigentlich genau im Archiv?«
»Sehe mir alte Bilder von der Gegend an«, sagte er. »Ich brauche sie für ein Buch. Oh nein! Der Hund! Der bescheuerte Hund!«
»Ist er immer noch da? Warum holt seine Schwester ihn denn nicht ab?«
»Sie ist auf Gran Canaria, danke für das Essen, und Entschuldigung, dass ich schon aufbreche, aber ich muss ihn ausführen, ich bin eigentlich nur gekommen, um Ihnen das mit der Vermisstenmeldung zu erzählen, und dann habe ich das Tier vergessen, als ich zum Essen eingeladen wurde!«
»Darf ich mit?«, fragte Abby. »Ich liebe Hunde! Was ist es denn für einer?«
Und ich saß da. »Kommst du wieder?«, rief ich ihr nach. »Bleibst du über Nacht?« Ach, eigentlich war es auch egal, ich konnte die Tür offen lassen, jetzt wollte ich schlafen. Ich war sowieso zu müde für das große Wiedervereinigungsgespräch. Darüber, wie es ablaufen sollte oder würde, wollte ich mir mein Gehirn nicht mehr zermartern, vielleicht hatte es sowieso schon stattgefunden, ohne dass ich es richtig wahrgenommen hatte. Schlaf. Tiefer Schlaf würde mir gut tun.
26
»Ich fühle mich so arm, wenn
ich sehe, wie andere in Affekt geraten.«
Elsie Lindtner , Karin Michaëlis
Früh am Morgen spannte ich den Regenschirm auf und ging zum Friedhof. Ich war mit Kopfschmerzen und etwas anderem aufgewacht, was ich als schlechtes Gewissen definierte. Seit Freitag Abend hatte ich Hallands Grab nicht einmal besucht. War das völlig daneben? Es war ein Gefühl, als hätte ich ihn im Stich gelassen, aber ihn kümmerte das wohl kaum. Es war früher, als ich gedacht hatte, es war noch nicht einmal richtig hell, und kühl, und der Platz sah nächtlich aus. Als ich den Friedhof betrat, war es viel stiller als sonst. Dagegen wirkten meine eigenen Geräusche noch aufdringlicher. Einige Schatten huschten zwischen den Gräbern entlang, ich erschrak mich nicht, dachte aber kurz das Wort Gespenster. Waren es Geister oder Nebel? Der Blumenberg lag noch immer auf Hallands Grab, doch man sah deutlich, dass jemand darin gewühlt hatte, an einer Stelle waren die Blumen zur Seite geschoben worden, auf die blanke Erde. Pflichtschuldig betrachtete ich das Grab und stellte fest, dass ich hier nicht oft herkommen musste. Er war ja nicht hier. Er fehlte nicht einmal, denn dieser Ort war ja nicht seiner gewesen, als er noch lebte. Ich ging aus der Stadt hinaus und unten am Fjord entlang, dann die Hauptstraße hinunter und quer über den Platz zurück.
Inger stieß ihr Fenster auf, als ich vorbeikam, sie lehnte sich auf das Fensterbrett und sagte Guten Morgen. Das gefiel ihr, dass ich auf dem Friedhof gewesen war.
»Es waren Gespenster dort …«, sagte ich.
Sie machte diesen Gesichtsausdruck, den ich schon kannte, einen Ausdruck, der auf den Gesichtern der Menschen auftauchte, wenn sie glaubten, ich meinte das, was ich sagte, ernst. »Es war, als huschten Gespenster umher. Außerdem hatte jemand die Blumen zerwühlt.« Jetzt wirkte sie erleichtert.
»Das müssen die Rehe gewesen sein. Kannst du dich nicht daran erinnern, dass sie sie letztes Jahr abschießen wollten? Dieser Peter Olsen war wahnsinnig sauer, als man ihnen
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