Das lebendige Theorem (German Edition)
seiner spektakulären Lösung eines alten Problems von sich reden, das das Fundamentallemma genannt wird. Es handelt sich um einen Bereich in der Mathematik, der wegen seiner Schwierigkeit bekannt und mir völlig fremd ist. Jedenfalls sehen alle Ngô als großen Favoriten für die nächste Runde der Fields-Medaillen!
Eben sind die Kinder abgefahren. In Littlebrook kümmert man sich liebevoll um sie, tagsüber erhalten sie ihren individuellen Englischunterricht, und man versucht, ihnen Selbstvertrauen einzuflößen – im Hinblick darauf kann man sich auf die amerikanischen Lehrer verlassen. Heute Nachmittag kehren sie froh von ihrem Tagewerk zurück, und sie werden sich immer noch auf ihre Hausaufgaben freuen – zum Glück hat der Hass auf die Hausaufgaben die Vereinigten Staaten noch nicht erreicht, zumindest Princeton nicht.
Schnell, ich kehre nach Hause zurück, setze mich in den Sessel und überprüfe die Idee, die an diesem Morgen wunderbarerweise erschienen ist, um diese verfluchte Lücke zu füllen.
– Ich bleibe bei Fourier, wie mir Michael Sigal empfohlen hatte, ich werde mich keineswegs an die Laplace-Transformation halten, aber bevor ich die Umkehrung mache, fange ich an, so zu trennen, und außerdem in zwei Schritten …
Ich kritzle und betrachte es. Ein Augenblick des Nachdenkens.
Es funktioniert! Glaube ich …
Es funktioniert!!! Ganz bestimmt!
Natürlich musste man es so machen. Von hier aus kann man die Sache weiter entwickeln, bestimmte Elemente hinzufügen, aber hier habe ich schon ein Raster.
Jetzt ist es nur noch eine Geduldsfrage, mir wird klar, dass die Entwicklung der Idee zu Schemata führt, die ich wiedererkenne. Lange schreibe ich die Einzelheiten auf. Das ist der Augenblick, in dem ich meine achtzehn Jahre mathematischer Praxis zur Geltung bringen kann!
– Hmmm, jetzt ähnelt es einer Young’schen Ungleichung … und dann sieht es so aus wie der Beweis der Minkowski-Ungleichung … man wechselt die Variablen, man sondert die Integrale …
Ich gehe in einen halbautomatischen Modus über. Momentan kann ich zwar meine ganze Erfahrung einsetzen … aber um dorthin zu gelangen, war ein kleiner direkter Anruf nötig gewesen. Die berühmte direkte Leitung, wenn Sie einen Anruf vom Gott der Mathematik erhalten und eine Stimme in Ihrem Kopf widerhallt. Das ist ganz selten, zugegeben!
Ich erinnere mich noch an ein anderes Erlebnis einer direkten Leitung. Im Winter 2001, als ich Professor in Lyon war, gab ich eine Zeitlang jeden Mittwoch Kurse am Institut Poincaré. Ich habe meine Beinahe-Lösung von Cercignanis Vermutung vorgestellt, als mich eines Mittwochs Thierry Bodineau ansprach und fragte, ob ich nicht einen bestimmten Teil der Aussage verbessern könne. Als ich darüber auf der Rückfahrt im TGV nachdachte, hatte ich wie durch eine Erleuchtung den Finger auf ein viel leistungsfähigeres Beweisschema gelegt, das mir in der Tat ermöglichte, den Beweis der Vermutung zum Abschluss zu bringen. Die folgenden Tage habe ich dann das Argument vervollständigt, um einen allgemeineren Fall zu behandeln, der in einem gewissen Sinne eine Erweiterung der Vermutung ist; und ich bereitete mich darauf vor, die beiden neuen Ergebnisse am folgenden Mittwoch stolz zu präsentieren.
Aber am Dienstag entdeckte ich einen fatalen Fehler im Beweis des zweiten Theorems! Ich habe den ganzen Abend erfolglos mit dem Versuch verbracht, ihn zu reparieren, und ging gegen 3 oder 4 Uhr schlafen.
Am nächsten Morgen, kaum aufgewacht, wälzte ich das Problem in meinem Kopf herum und konnte nicht zugeben, dass ich auf die Vorstellung meines Ergebnisses verzichten sollte. Ich ging zum Bahnhof, den Kopf immer noch voller Wege, die nicht zum Ziel führten. Aber sobald ich im TGV Platz genommen hatte, kam die Erleuchtung, und ich wusste , wie man den Beweis korrigieren musste.
An jenem Tag verbrachte ich meine Zugfahrt damit, das Ergebnis auf die Beine zu stellen, und ich habe es mit allem Stolz, den man sich nur vorstellen kann, verkündet. Wenig später wurde dieser Beweis made in TGV veröffentlicht und lieferte den Stoff für einen meiner besten Aufsätze.
Und an diesem Morgen des 9. April 2009 hat erneut eine kleine Erleuchtung an die Tür meines Gehirns geklopft, um alles zu erhellen. Schade, dass die Leser des Aufsatzes wohl keine Ahnung von dieser Euphorie haben werden, die Erleuchtung ist in den technischen Details untergegangen …
*
Kapitel 28
Princeton, 14. April 2009
Heute habe ich offiziell
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