Das leere Land
Seeufer-Grundstücke andienen, würden sie einladen zu Charity-Events, Männer würden sie beschlafen wollen, Frauen würden sein wollen wie sie.
Eugipp, der Listige, hat einen schönen Namen erfunden für die geizige Schöne. Im Schatzkästlein der katholischen Unterhaltungsliteratur kommt abgesehen von der norischen Witwe nur eine einzige Procula vor, eine prominente Dame, auch wenn sie in den offiziellen Evangelien nicht namentlich erwähnt wird, sondern bloß an einer einzigen Stelle einer apokryphen Heiligen Schrift. In den Aktae Pilati nämlich, den Geschichtsverdrehungen eines römischen kaiserlichen Leibgardisten aus dem fünften Jahrhundert, der sie abgeschrieben haben will von einem Pharisäer namens Nikodemus, einem Zeitgenossen Jesu Christi, weshalb wir die Sache kennen als Nikodemus-Evangelium. In diesem Text, der die römische Besatzung Judäas verherrlicht, wie auch sonst, bei diesem Verfasser, und alle Schuld den Juden in die Schuhe schiebt, ist Procula die Ehefrau des Statthalters Pontius Pilatus, die mit dem bösen Traum bezüglich Jesu, man kennt das aus dem Matthäus-Evangelium.
Während Procula aus Jerusalem, die Gattin jenes Römers, der ihren Gott hinrichten ließ, in den Überlieferungen der Christen genauso wegkommt wie Pilatus selbst, nämlich sehr gut, schließlich war man mittlerweile römische Staatsreligion, und wozu hat man denn die Juden, sieht die norische Procula viel schlechter aus. Jene hohe Dame aus Mautern ließ der Heilige Mann öffentlich vorführen, nachdem ihm Gott offenbart hatte, dass die Unwürdige zu Spekulationszwecken Lebensmittel horte. Eine weitere verräterische Passage in Eugipps Text ist das, wie so viele andere. Quam productam in medium, das steht im Original und wird in deutschsprachigen Fassungen eher oberflächlich und damit verschleiernd übersetzt mit: öffentlich vorführen. Doch diese Phrase ist römische Amtssprache, bedeutet so viel wie jemanden von Amts wegen vor eine Behörde schaffen. Wie sollte aber der aus dem Nichts aufgetauchte Niemand Severinus so eine Amtshandlung veranlassen können?
Severinus jedenfalls, der grobe Klotz, schalt die Procula derb in Eugipps Überlieferung. Magd der Begierde und Sklavin des Geizes nannte er sie, jenes Geizes, der nichts anderes sei als Götzendienst. Man merkt, in jenen Zeiten war der Gott des Reichtums noch nicht der Oberste aller Götter. Zumindest nicht in jener Offenheit wie sechzehn Jahrhunderte später. Sie solle ihr Getreide lieber in die Donau schütten als es weiterhin horten, donnerte der edle Amtsträger Roms, selbst so eine absurde Tat wäre noch gottgefälliger, als aus dem Elend und dem Hunger der Mauterner Gewinn zu ziehen zu suchen.
Giese wertet die Ereignisse von Favianis mit großer Selbstverständlichkeit aus der Zeit heraus, in der er seinen Roman geschrieben hat. Die Unruhe, die Hungersnot, das Gezeter und Gestreite um zu Ende gehende Nahrungsmittelvorräte seien Ausdruck tiefgreifender Klassengegensätze, lässt er seinen Icherzähler Severinus sagen. Dann erfindet er der Procula eine über viele Seiten sich erstreckende handlungsreiche Vorgeschichte als Keltin, macht aus ihr eine von der Männerwelt getretene, geschändete und betrogene Frau, was ihre vermeintliche Hartherzigkeit erklären soll. Zuletzt schwärmt Giese von der Alpenländerin Procula und wünscht sich, er könnte von Charme und Temperament der Witwe erzählen, ihre bezaubernde Knusprigkeit beschreiben, dem Severinus ein fleischliches Begehren andichten. Dann aber schickt er Procula resignierend zurück an jene Position, die Frauen immer schon zukam und zukommt in Zeiten des Klassenkampfs: in die zweite Reihe.
Du wirst keinen Gewinn aus deinem Besitz erlangen können, wetterte Severinus in der öffentlichen Versammlung in der immer bedrohlicher werdenden Schlussphase des Mautern’schen Hungerwinters gegen die zitternd vor dem Männertribunal stehende Frau. Bis die Witwe eine große Furcht befiel und sie begann, ihre Vorräte bereitwillig unter den Armen zu verteilen.
Wie Severinus da die hartherzige reiche Witwe zur Mildtätigkeit bewegt, das ist ein sehr katholisches Wunder. Denn es funktioniert nur, indem der Mann Gottes Angst macht. Was ja der Kern des Katholischen ist. Angst. Und das Erzeugen von Angst als Instrument der Manipulation und Beherrschung.
In den Jahren der Pubertät traktierten uns die Zisterzienser im Knabeninternat auf das Perfideste mit diesem ihrem Instrumentarium. Einmal jährlich fanden
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