Das leere Land
Schlitzen von Haut und Platzen von Schädeln etwas Religiöses in mir zu schwingen anfängt, und zugleich eine Höllenangst sich regt, der Ekel vor den perversen Leidzufügungen könnte irgendwann doch noch umschlagen in eine sadistische Lust.
Dieser bipolare Wahnsinn passt gut zu den Zisterziensern, deren Gründer, der Heilige Bernhard aus Clairvaux, ja eine schizoide Persönlichkeit von Gnaden gewesen sein muss. Das umfangreiche Lebenswerk, das er hinterlassen hat, umfasst Tausende Seiten der Verinnerlichung, das Ganze ein stürmisch drängender Appell, nein, kein Appell, es ist ein Locken, ein sanftes Rufen nach den verlorenen Seelen, ein Werben dafür, innezuhalten und einzubiegen in den Pfad der Stille. In den Wäldern wirst du mehr finden als in den Büchern; die Bäume und die Felsen werden dich Dinge lehren, die kein Meister dir sagen kann. Das hat er geschrieben, dieser frühe Softcore-Esoteriker.
Und zugleich hat er allein mit der Kraft seiner flammenden Rede Könige dazu bewogen und Zigtausende junge Männer aufgestachelt, in den Krieg zu ziehen gegen die maurischen Barbaren, ihre Häuser zu verbrennen, ihre Weiber zu schänden, ihre Männer zu töten, so sie sich nicht bekehrten zum rechten Glauben. Er erfand eine wirkungsvolle Waffe: hochgerüstete Kampfmönche, gemäß seines Leitspruchs, nur Krieger im Namen des Christentums seien ehrenwerte Krieger. Zutiefst empfindsamer Mystiker des stillen Waldes und Goebbels des zweiten Kreuzzuges zugleich, das war dieser Bernhard, der von den Wandgemälden lächelte in den Kreuzgängen meiner Kindheit.
Die Ankunft des Heiligen Mannes Severinus in Mautern, jener Stadt, die sein Lebensort werden sollte, endete mit dem nächsten Mirakel, das unmittelbar auf die Bekehrung der Procula folgte. Das sogenannte Eiswunder. Eugipp tut so, als hätten die beiden Wunder nichts zu tun miteinander. In Wahrheit ist das eine ohne das andere undenkbar. Severinus hatte den Bewohnern Favianis’ eindringlich ins Gewissen geredet, heilbringende Buße zu tun, um von der verderblichen Hungersnot befreit zu werden. Sie büßten also. Und es wurde ihnen Heil gebracht. Auf einmal trafen Lastkähne voller Lebensmittel in Mautern ein, die wochenlang eingefroren im vereisten Innfluss in Rätien festgehalten gewesen waren.
Es ist ein schleißiges Wunder, die Motive, die hinter ihm stehen, sind allzu durchsichtig. Natürlich hatte der Verwaltungsbeamte Severinus Nachrichten erhalten, dass der Inn frei vom Eise sei, dass die Schiffe Fahrt aufgenommen hätten, dass Rettung bereits unterwegs sei. Dies dann vorherzusagen und die Mauterner sich zerknirschen zu sehen vor lauter Buße, musste ihm ein großes Vergnügen bereitet haben.
Severinus’ Kenntnis der Lageberichte seiner Spitzel, Informanten und Zuträger war es wahrscheinlich auch, was die Witwe Procula dazu gebracht hatte, herauszurücken mit ihrem Getreide und Öl. Severinus hatte sich vorgebeugt zu ihr, einen Seitenblick erhaschend auf ihren traumhaft schönen Busen, einen Hauch von Duft ihrer gesalbten Haut erschnuppernd, und hatte ihr etwas ins Ohr geflüstert. Dass er Nachrichten habe aus Rätien. Dass das Eis bräche. Dass Inn und Donau wieder schiffbar seien. Dass die Kähne mit den Nahrungslieferungen nach Wochen in den Häfen von Batavis oder Boiotro bereits auf dem Weg seien.
In diesem Sinne erscheint es auch logisch, dass er sie verspottet, dass er ihr als Erstes nicht Gottes Strafgericht in Aussicht stellt, sondern die Vorhersage abgibt, sie werde mit ihren gespeicherten Rohstoffen in wenigen Tagen schon nichts anderes mehr anfangen können als sie in der demnächst völlig eisfreien Donau zu verklappen. Dies war es, was Procula zur Besinnung kommen und die Lebensmittel verteilen ließ, nicht die Furcht vor dem Zorn Gottes.
Die Mauterner glaubten lieber an Wunder. Sie priesen Gott als Spender der unverhofften Nahrung in unablässiger Andacht. Und sie jubelten dem Severinus zu, dem Knecht Gottes, der durch sein Beten und Bitten die Schiffe vom Eis gelöst und den sicher scheinenden Hungertod abgewendet hatte.
Meine eigene Ankunft in Mautern endete mit einer Enttäuschung. Das Römermuseum war versperrt. Am Eingang zur Römerhalle, in der eine große Hochzeitsgesellschaft feierte, hing eine Hinweistafel. Öffnungszeiten zehn bis zwölf sowie sechzehn bis achtzehn Uhr. Es war kurz nach zwölf. Ich wollte nicht vier Stunden im todlangweiligen Mautern verbringen, sondern beschloss, nach Wien zu fahren, um in der
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