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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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wie sie sind, und wodurch sie so geworden sind, hatte ihn, im Gegensatz zu seiner Vorgehensweise Jahrzehnte später bei den Indianern, noch nicht interessiert.
    Man durfte in der Nationalbibliothek aus dem Band keine Kopien anfertigen. Ich schrieb ein paar kurze Passagen ab, über die Irren in jenem Klostergebäude, das heute die städtische Musikschule zu Linz beherbergt, und über die Schönheit der Oberösterreicherinnen. Am besten gefiel mir das Motto, das Kohl seinem Buch, das ein Jahr nach seinem Bestseller über Russland und die Ukraine erschienen war, vorangestellt hatte. Er schien am Ende des Werkes, als er den Widmungsspruch erdachte, jene Abgeklärtheit gefunden zu haben, die im Text selbst noch nicht spürbar ist. Er hatte die Niederlage mit Des Deutschen Mundes Laute verkraftet. Und er war dabei, den gewaltigen Erfolg seines Russland-Buches zu verkraften, das heute noch Maßstab und Muster für jeden ist, der sich Themen fächerübergreifend nähert. Maßstab sein könnte, leider liest es niemand mehr. Ich mag es, dieses Motto. Gesegnet werde, wer da lobt, gesegnet werde, wer da zischt.

22
    Ein sehr leises, kurzes scheues Wiehern kam aus der Hörmuschel meines Handys. Hallo, sagte Bodinger dann, spreche ich mit dem in Oberösterreich weltberühmten Schriftsteller? Ich versuchte zu wiehern als Antwort, es gelang nicht. Wir müssen uns unterhalten, sagte er. Aber nicht am Telefon. Wann hast du Zeit?
    Ich wollte übermorgen –
    Gut. Komm. Wir müssen reden.
    Habe ich – ist es was Ernstes?
    Die Schmerzen rund um meinen Brustkorb hatten aufgehört nach der Infusion, bis auf ein unbestimmtes dumpfes Stechen in der Gegend des Brustbeins. Ich hatte die dunkelsten Befürchtungen, die mich jeden Tag gleich nach dem Aufwachen gequält hatten, weggeschoben, hatte mich selbst ausgelacht. Zu Unrecht, wie es schien. Ich hätte es wissen müssen. Irgendwas mit dem Herzen. Oder Krebs.
    Na ja, sagte Bodinger, dein Gewicht, und die Blutdruckwerte, und mit dem Cholesterin, das sieht auch nicht gut aus. Aber das sind alles möglicherweise nur Begleiterscheinungen.
    Begleiterscheinungen wovon?
    Es weist einiges hin auf pathologische Glukosetoleranz. Eine gestörte Glukosetoleranz.
    Was bedeutet, dass –?
    Du leidest an honigsüßem Durchfluss.
    Ich schwieg. Deine Kenntnisse des Altgriechischen sind wohl sehr verblasst, sagte Bodinger, es scheint dir nichts zu sagen.
    Richtig.
    Diabetes. Mellitus.
    Diabetes?
    Reg dich nicht auf.
    Ich rege mich nicht auf.
    Ist nur, wenn man in so einem Fall nur sagen darf, Typ 2. Sieht aus, als wäre es im Anfangsstadium. Lässt sich gut in den Griff kriegen.
    Diabetes?
    Bloß ein Verdacht. Muss man abklären. Er grunzte ein komisches kleines Lachen, sagte dann, dass wir eben alle älter würden. Du hast das, was man früher einmal Altersdiabetes nannte. Heute nicht mehr. Kriegen schon die Schulkinder, bei all den Hamburgern und Tonnen von Schokolade.
    Wir schwiegen. Den oralen Glukose-Toleranztest können wir uns sparen, sagte er dann. Schauen wir gleich ein wenig tiefer. Hast du übermorgen den ganzen Tag Zeit?
    Eigentlich wollte ich nach Mautern.
    Optimal wäre es, wenn du gleich um halb acht kommen könntest, dann um elf, und dann noch einmal gegen sechs.
    Wenn ich umdisponiere auf Passau, dann ist es möglich. Passau zwischen elf und sechs, das geht sich aus.
    Er wies mich an, am Morgen unbedingt nüchtern zu kommen. Dann Frühstück wie gehabt, das, was du immer frühstückst. Und vor dem Abendtermin ganz normal Mittagessen, jausnen, so wie immer. Damit wir die korrekten aktuellen Blutzuckerwerte bekommen. Wie lange bist du in Österreich?
    Vielleicht noch einen Monat.
    Das wird sich nicht ausgehen. Musst du zu deinem Arzt drüben.
    Gut.
    Also, sagte er nach einer Pause, also. Wir sehen uns. Und legte auf.
    Ich saß im Hotelzimmerbett und sah das Bild an der Wand an, eine schlechte Kopie des Kokoschka-Blicks auf Linz. Bilder von Nadeln und Spritzen tauchten vor mir auf, die ich mir für den Rest meines Lebens selbst ins Bauchfleisch rammen würde, und in die Fingerkuppen. Es wollten sich aber kein Erschrecken und keine Düsternis einstellen ob der langweiligen Zukunft, die mir Bodinger offenbart hatte, eine Zukunft voller Rücksichtnahmen und Verzicht und Lästigkeiten. Etwas anderes war in mir. Eine kranke perverse Freude, ja, eine unbändige Heiterkeit anstatt verschatteter Trauerstimmung.
    Das, worüber ich mehrmals geschrieben hatte in den vergangenen paar Jahren, über das jedem

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