Das Legat der Toten
anders, sie mußte lachen. Dabei blieb sie nicht auf einer Stelle stehen, sondern ging quer durch den Wohnraum, hielt den Kopf gesenkt und schüttelte ihn mehrmals hintereinander. In einem Regal stand eine halb gefüllte Weinflasche, die sie im Gehen mitnahm. Sie setzte die Öffnung an den Mund und trank die nächsten Schlucke Rotwein wie Wasser.
Es ging ihr gut. Es ging ihr so verdammt gut. Nach dem dritten Schluck stellte Miranda die Flasche zur Seite und ging dorthin, wo das Geld auf dem Boden lag. Genüßlich sammelte sie die Scheine auf und beschimpfte dabei den Toten. Nie mehr würde er ihr in die Quere kommen. Nie mehr war sie auf seine verdammten Almosen angewiesen, denn sie hatte sich endlich befreien können.
Die Scheine stopfte sie in die linke Jackentasche. Die rechte sollte frei für die Waffe bleiben. Hinter dem Sessel blieb sie stehen und zog das spitze Messer aus dem Körper. Die Klinge war im unteren Drittel blutverschmiert. Deshalb säuberte Miranda den Stahl am Stoff des Sessels. Erst dann ließ sie die Klinge zurückfahren und steckte das Messer wieder in die rechte Tasche der Jacke zurück.
Ihr war es egal, wer in dieser verdammten Wohnung leben würde. Sie auf keinen Fall. Dies zu wissen tat ihr gut und schürte die Euphorie noch weiter an.
Vorbereitet hatte sie alles. Der Mantel hing bereit, die Reisetasche stand auf dem Boden, doch bevor sie beides an sich nahm, hörte sie wieder die Stimme.
»Das war gut, Miranda. Das war sehr gut. Du bist die Beste. Ich gratuliere dir...«
Miranda schloß die Augen. Es war für sie wunderbar gewesen, diese Stimme zu hören. Lange genug hatte sie darauf gewartet, um endlich ein Lob zu empfangen.
Nun war es geschehen. Die andere Seite hatte zugeschaut. Sie war über sie informiert, und genau das hatte sie gewollt.
Mit etwas unsicheren Bewegungen streifte sie den langen Mantel über. Miranda wußte genau, was sie jetzt zu tun hatte. Die Wohnung verlassen, möglichst von keinem gesehen zu werden, und dann den Wagen nehmen, um wegzufahren.
Irgendwohin...
Sie tat es.
Sie ließ viel zurück. Es tat ihr überhaupt nicht leid, auch nicht wegen des Toten...
***
Wir hatten es geschafft und waren mal wieder bei unserem Stamm-Italiener gelandet, nicht weit vom Yard Building entfernt. Glenda hatte Suko und mich begleitet. Auch sie hielt es an diesem trüben Tag nicht im Büro aus.
London erstrahlte bereits in weihnachtlichem Glanz, der die Käufer anlocken und deren Geldbörsen leeren sollte. Auch das Millennium wurde genügend in der Werbung gewürdigt, so kam es dann zu einer Vermischung zwischen Weihnachten und dem Übergang ins neue Jahrtausend.
Auch unser Italiener hatte sein Lokal der Jahreszeit entsprechend verändert. Auf den Fensterbänken standen künstliche Tannenbäume oder kleine Lichtertreppen. Kitsch as Kitsch can, aber es war nicht mein Laden, und das Essen besaß die gewohnte Qualität.
Glenda hatte sich nur mit dem üblichen Salat zufriedengegeben, während Suko und ich uns das Piccata Milanese hatten schmecken lassen. Mit Kreide geschrieben hatte es auf der großen Tafel gestanden.
Ich hatte mir zum Wasser noch einen guten Tropfen Pinot Grigio gegönnt, aber den Grappa nach dem Essen lehnte ich ab. Der machte mich nur müde, was das Wetter ebenfalls schon geschafft hatte.
Ich streckte meine Beine aus und hielt die Augen halb geschlossen. Es tat gut, noch einen Moment hier zu sitzen, denn der Nachmittag würde nicht so entspannt werden. Da hatte uns Sir James Powell zu einer Besprechung gebeten. Worum es ging, wußten wir nicht, aber es würde kein Kaffeeklatsch werden.
Ein Kollege von der Fahndung blieb kurz an unserem Tisch stehen. »Habt ihr Lust?« fragte er.
»Worauf?« erkundigte sich Glenda.
»Wieder zurück in den Bau zu gehen. Was hast du denn gedacht?«
»Das gleiche wie du.«
»Dann wünsche ich noch allgemein viel Spaß.«
»Danke, dito.«
Suko war wieder so schrecklich realistisch und fragte: »So, wer zahlt denn diesmal?«
»Immer der, der fragt«, antwortete Glenda.
»Hätte ich mir denken können. Ich bin schon die ärmste Socke, und jetzt das.«
»Wenn ich mal Zeit habe, bedauere ich dich. Aber du hättest ja so erschöpft tun können wie John. Der hängt in seinem Sitz wie ein altes Wäschestück über dem Zaun. Sollen wir dich eigentlich ins Büro tragen?«
Ich schielte sie an. »Wäre eine Möglichkeit.«
»Oder rollen«, meinte Suko.
»Kann man überlegen.«
Ich winkte ab. »Ihr seid ja nur neidisch,
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