Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
brauchen wir ja bald einen.“
Frieder stand mit dem Rücken zu ihr. Sie sah, wie er tief Luft holte und langsam seinen Kopf schüttelte.
„Was für ein idiotisches Gespräch“, sagte er. Er fühlte sich kraftlos, leer; gleichzeitig spürt er ein Verlangen, sie zu küssen, ihren Atem nach Wein und Zigaretten zu spüren: Alle Worte an diesem Abend waren vergiftet. Er drehte sich um und nahm Darias Gesicht in einer schnellen, harten Bewegung zwischen seine Hände. In diesem Moment klingelte es an der Haustür.
Daria, die durch Frieders Geste wie befreit wirkte und die Augen geschlossen hatte, löste sich aus seiner Umarmung und ging zur Tür.
Frieder blieb in der Küche und bereitete den Espresso vor. Er hörte Daria reden, aber ihre Stimme ging im Rumoren der Espressomaschine unter. Frieder holte zwei kleine Tassen aus dem Schrank – abends tranken sie keinen Cappuccino, weil das Aufschäumen der Milch aller hypermodernen Technik zum Trotz zu aufwendig war – und legte zwei Stückchen Zucker auf eine Untertasse. Er selbst trank den Espresso mit Milch.
Daria kehrte zurück, einen Teller mit mehreren übereinanderliegenden Apfelpfannkuchen in der Hand.
„Lara hat sie gebracht. Veronika hat sich heute bei mir Vanillinzucker geliehen.“
Svenja war an diesem Nachmittag nicht bei ihrer Nachbarin gewesen. Daria hätte sie, allein schon, um die Normalität zu wahren, hinübergeschickt, aber Svenja konnte, was ihre Freundinnen anging, launisch sein wie das Aprilwetter. Sie hatte zu einer Klassenkameradin in den Hochhäusern an der S-Bahn gewollt und kam erst kurz vor dem Abendessen zurück.
„Die sehen gut aus. Ich würde einen zum Kaffee essen“, sagte Frieder. Er hatte die Hälfte seiner – infolge des Streits erkalteten – Spaghetti in den Abfalleimer geworfen.
Daria holte zwei Teller aus dem Schrank, einen für Frieder, den anderen für die restlichen Pfannkuchen. Sie wollte Veronikas Teller sofort abspülen, er sollte bereitstehen, falls sie später noch einmal klingeln sollte. Als Daria die Kuchen auf die beiden anderen Teller verteilt hatte, sah sie das Muster auf Veronikas Teller: Er zeigte die drei Affen, die sich blind, taub und stumm stellten. Mit breitem Grinsen und überlangen Armen, dunkelbraun auf gelbem Untergrund. Ein Teller aus Veronikas Sammlung an Kindergeschirr.
Svenja blieb in ihrem Zimmer. Frieder und Daria tranken den Espresso im Wohnzimmer. Während der Nachrichten ging Daria in den Garten, aber sie rauchte nicht, sondern spazierte in kleinen Schritten übers Gras, die Hände vor der Brust verschränkt. Kalte Abendluft kroch durch den handbreiten Spalt in der Terrassentür. In der Mittagspause hatte Frieder eine Runde um den Block gemacht und nach ein paar Schritten seine Jacke über den Arm gelegt. Aber die Abende blieben so kühl, als lösten sie sich vom Tag und bildeten eine eigene Wetterzone.
Nach der Tagesschau setzte sich Daria neben ihn und schaltete auf das ZDF, um sich eine Krimiserie anzuschauen, die in München spielte. Als Zuschauer fehlte Frieder ein Gen für Kriminalfilme, zumindest für Serien dieser Art: Die Protagonisten fuhren bevorzugt edle BMWs, hatten einen Kamin im Wohnzimmer, verdienten ihr Geld als Industrielle, Professoren oder Makler und schauten eine Minute starr in die Kamera, bevor sie bedeutungsschwere Sätze über das Leben formulierten, eine Art Existenzialismus für den Millionärsclub.
Aber Daria verpasste, auf der Couch mit hochgezogenen Beinen neben ihm sitzend, keine Folge. Während der Abspann noch lief, ging Daria nach oben, um Svenja ins Bett zu bringen. 21 Uhr war Deadline, auch am Wochenende. Frieder griff nach der Zeitung und rechnete jede Sekunde damit, hochgerufen zu werden. Aber er hörte nur Schritte im Flur und das Zufallen von Türen. Entweder wollte Svenja keinen Gutenachtkuss mehr von ihm, oder Daria wollte ihn, vielleicht in einem Anflug schlechten Gewissens, schonen. Sie hatten während des Krimis nur wenige Sätze gewechselt, die sich auf die Fernsehserie bezogen und dabei so willkürlich und verzichtbar waren, dass sie nicht mehr bedeuteten, als dass keiner von beiden mehr zum Streitpunkt zurückkehren wollte.
Kurz vor halb zehn kam Daria wieder nach unten. Sie holte sich ein Glas Mineralwasser aus der Küche, setzte sich wieder neben Frieder und trank das Glas in wenigen Zügen aus. Dann zog sie die Beine hoch und ließ den Oberkörper auf seine Oberschenkel sinken. Sie wurde von einem Gefühl der völligen
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