Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
in ihrer Heimatstadt geblieben und wurde Ingenieur, wie ihr Vater. Nach seiner Verbeamtung bei der Stadtverwaltung zog er mit Elfie zusammen, die – sie war einige Jahre jünger als er – ihr Studium in komfortablen materiellen Verhältnissen beenden konnte.
Unvermittelt betrat Bernhard eine Eckkneipe. Frieder, den obligatorischen Schritt hinter ihm, konnte gerade noch an der Leuchtschrift über der Tür ablesen, dass dort „mexikanisch-hispanisch-bolivianische Küche“ angeboten wurde. Aha, dachte Frieder. Drinnen stand die Luft vor Rauch; Frieder blieb abrupt stehen und spürte den vertrauten Zorn in der Magengegend auf die plumpe Eigenmächtigkeit seines Bruders. Aber er setzte sich wortlos an den kleinen Ecktisch, den Bernhard angesteuert hatte. Eine gelbe Kerze in einer Kupferschale brannte in der Mitte, daneben lag ein Stapel Bierdeckel. Der oberste war übersät mit den Kritzeleien eines Kugelschreibers.
„Die gerösteten Maiskolben sind spitze. Und die Hamburger mit Chilisauce nach Art des Hauses.“
Die Bedienung kam; eine junge Frau mit streichholzkurzen blonden Haaren, die beide Augenbrauen mit mehreren Büroklammern gepierct hatte. Sie redete Bernhard mit Vornamen an.
„Das ist übrigens mein Bruder.“
Sie gab Frieder die Speisekarte und sagte: „Stimmt doch nicht, oder?“
„Schon in der Schule hielt uns niemand für Brüder“, sagte Frieder, „wir sehen uns offenbar nicht allzu ähnlich.“
„Mein Bruder ist außerdem noch ein braver Normengänger“, sagte Bernhard.
„Was?“, fragte die Kellnerin.
„Er glaubt an Beruf, Familie, Eigenheim und fährt im kugelsicheren Volvo durchs Leben.“ Er hakte den rechten Zeigefinger in eine Gürtelschlaufe der Kellnerin und tat so, als ob er flüstern würde. „Dabei ist er mir viel ähnlicher, als er wahrhaben will. Ich bin ihm einfach nur um zwei Jahre voraus.“
Als sie ihr Essen bestellt hatten und die Kellnerin gehen wollte, zog Bernhard sie am Zeigefinger dicht an sich heran. Mit einer ruhigen, aber bestimmten Bewegung löste sie seine Hand von ihrem Körper; dabei lächelte sie ihm zu.
„Kam von ihr die Hintergrundmusik bei deinem letzten Anruf?“
Bernhard schüttelte den Kopf. „Vielleicht beim nächsten.“
Eine Gruppe von sechs, sieben Leuten betrat das Lokal. Sie gingen an die halbrunde Theke, die sich genau gegenüber der Eingangstür befand, und begrüßten den Barmann nacheinander in einem choreographierten Ritual aus Berührungen mit der Faust und der geöffneten Hand. Der Barmann sah mit seinen weißblonden, zu einem Zopf gebundenen Haaren absolut nicht südamerikanisch aus. Aber die Musik war es – Baden Powells Akkorde durchwehten den Raum und hinterließen eine seltsam schwebende Wehmut.
„Um zum Thema zu kommen“, sagte Bernhard und holte aus der Gesäßtasche den zerknitterten Brief ihres Vaters, „ich hätte nichts dagegen, wenn wir aus dem Erbe jetzt schon einen Sack Silberlinge geschenkt bekämen, steuerfrei.“
„Das ist nicht alles, worum es in dem Brief geht.“
„Du bist immer noch der liebe, besorgte Sohn, nicht wahr?“
Frieder zuckte die Achseln. „Hört sich an, als hättest du große Pläne mit dem Geld.“
„Keine großen. Eigentlich nur einen, einen ganz kleinen.“ Er hielt inne, weil die Kellnerin das Essen auf den Tisch stellte. Dabei stand sie so dicht neben Frieder – außerhalb von Bernhards Reichweite –, dass er ihr Parfüm, gemischt mit dem schweren Geruch ihrer Jeans, riechen konnte.
„Ich will auf eine halbe Stelle gehen.“
„Was?“
„Du hast richtig gehört. Die Schiene für Mütter mit kleinen Kindern, Behinderte und Alternative mit selbstgestrickten Norwegerpullovern. Alter, ich habe einfach keine Lust mehr. Ich bin seit über fünfzehn Jahren in der Verwaltung, zu lange, um mir noch Illusionen über eine Karriere zu machen. An meinem ersten Tag war ich der Sohn vom pensionierten Baudezernent Wilhelm Geesen, und heute bin ich es im Grunde immer noch. In vier verschiedenen Abteilungen gesessen, die erste Beförderung kam noch ziemlich schnell, die letzten beiden streng nach Amtsjahren. Ich bekomme keine prestigeträchtigen Projekte, ich fahre im Dienstwagen Marke VW-Polo zu städtischen Baustellen und kontrolliere die Abdichtungen von Wasserrohren, ich bin Durchschnitt, ein Hinterbänkler, ein Graukittel.“
„Geh doch weg, bewerbe dich und fang irgendwo neu an.“
Bernhard schüttelte langsam den Kopf.
„Wozu? Mir bedeutet Karriere nichts mehr. Mir
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