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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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bedeutet meine Arbeit nichts mehr. Mir bedeutet der Beruf ganz allgemein nichts mehr.“
    Frieder war zu überrascht, um zu antworten. In irgendeiner hinteren Ecke seines Bewusstseins fühlte er sich sogar deprimiert, als hätte er selbst diese letzten Sätze ausgesprochen.
    Er kaute an einer harten Rinderlende im Kräutermantel und Madeirasoße. Warum hatte er nicht auf seinen Bruder gehört? Der mexikanisch-hispanisch-bolivianische Koch war mit diesem Gericht völlig überfordert, während Bernhard, in seltsamem Kontrast zu ihrem Gespräch, mit sichtbarem Appetit diverse Tacos in den Mund schob.
    „Weißt du, Alter“, sagte er und hob seinen leeres Bierglas senkrecht in die Höhe, „ich dachte lange, nur ich wäre ein Versager. Der mächtige Vater mit seinem übergroßen Schatten, aus dem ich nicht heraustreten kann, die klassische Freud-Nummer eben. Aber mittlerweile denke ich, dass es nicht um mich geht, sondern um uns , die Generation so von, was weiß ich, Mitte der fünfziger Jahre bis Mitte der sechziger. Wer von uns hat es denn wirklich nach oben geschafft? Du bist ein sympathischer Niemand in einer zufällig florierenden Branche, meine Klassenkameraden reichen vom Kunsttischler bis zum Facharzt für Urologie. Na und? Keiner aus unserer Generation hat wirklich Zeichen gesetzt, in der Politik, in der Kunst oder sonst wo.“
    „Und woran liegt das, deiner Meinung nach?“
    Bernhard tippte auf den Brief, der, mit ein paar Ketchupklecksen verziert, neben dem Teller lag.
    „Im Wesentlichen an den Vätern. Wer aus dem Krieg heimkam und es zu etwas brachte, der war wirklich tough . Der ließ sich auch von der 68er-Generation nicht vertreiben. Oder von seinen eigenen Kindern. Erst die danach, die hatten es scheinbar leichter. Wenn ich die jüngeren Leute bei mir im Amt oder in Elfies Freundeskreis betrachte – die sind pragmatisch bis ins Mark, selbstbewusst und angepasst. Entschuldige mich einen Moment, hier wird wohl gerade auf Selbstbedienung umgestellt.“
    Bernhard ging mit dem leeren Glas zur Theke, während Frieder seinen noch halbvollen Teller zur Tischmitte schob. Er hing Bernhards Exkurs nach, konnte sich seinen eigenen Vater jedoch nicht als Gegner, nicht einmal als übermächtiges Hindernis vorstellen. Das heißt, er konnte, aber er spürte im selben Moment einen flammenden Kopfschmerz, der den Gedanken förmlich auffraß. Aber er stimmte Bernhard vorbehaltlos zu, was die jüngeren Kollegen betraf. Er hatte sich oft über deren Selbstbewusstsein gewundert – es schien im Wesentlichen darin begründet, dass sie sich viele Fragen erst gar nicht stellten.
    Bernhard blieb an der Theke hängen. Er stand ganz links, neben der Durchreiche zur Küche, ein mittlerweile volles Bierglas in der Hand. Wenn die Kellnerin ihr Tablett abstellte und an ihrer Zigarette zog, hakte Bernhard sich wieder in ihre Gürtelschlaufe ein. Das Lokal füllte sich immer mehr, die Musik wurde viel lauter. Schnelle Bläsersätze peitschten durch die Luft, die zuvor von akustischen Gitarren gewärmt wurde.
    Irgendwann kam Bernhard zurück an den Tisch und steckte einen Zettel mit einer Telefonnummer in die Tasche. Die Brüder tranken jeder noch zwei Bier, ohne jedoch ihr Gespräch wieder aufzunehmen. Es war zu laut, sie mussten sich über die Tischmitte beugen, um überhaupt etwas zu verstehen. Frieder fiel auf, dass Bernhards Gebiss ganz anders war als seins. Bernhards Zahnhälse waren ungewöhnlich kurz und sehr weiß, wenn er den Mund öffnete, blinkten sie und zogen den Blick des Gegenübers auf sich.
    Die Luft war noch warm, als sie zurückgingen. Bernhard kickte ein paar Mal gegen eine leere Bierdose, bis sie unter einem parkenden Auto verschwand. Als ein älterer ausländischer Zeitungsverkäufer aus einer Gastwirtschaft kam und den Stapel auf den Gepäckträger seines Fahrrads lud, gab ihm Bernhard fünf Mark und sagte, hier nimm, aber die Scheißzeitung kannst du behalten, die kommt mir nicht in meinen Kopf herein.
    In der Wohnung kroch Frieder sofort in seinen Schlafsack. Als er aufstoßen musste, spürte er den Geschmack des missglückten Abendessens in seinem Mund. Widerwillig schluckte er den Speichel herunter. Der Schlafsack war sehr eng, Frieder drehte sich auf die Seite und suchte auf der prallvollen Luftmatratze eine erträgliche Schlafposition. Er dachte an Daria, er überlegte, wann sie zuletzt zusammen geschlafen hatten. Es musste länger als zwei Wochen her sein. Er schloss die Augen und stellte sich vor, dass

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