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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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drehte sich zu ihr und legte den linken Arm auf die Couch, ohne Daria jedoch zu berühren. „Er ist so der Typ, der ins Auto steigt, startet und beim Losfahren grübelt, was er gemacht hätte, wenn der Motor nicht angesprungen wäre.“
    Sie fühlte, wie sie errötete, aber Georgs Bemerkung löste keinen Verteidigungsreflex aus, sie war zu treffend, um feindselig zu sein.
    „Ihr seid schon sehr unterschiedlich“, sagte er und schenkte Daria Wein nach, obwohl sie nur sehr wenig getrunken hatte, „wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“
    „Auf einer Fete hier in München. Ein alter Klassenkamerad von ihm, den ich aus einigen Seminaren flüchtig kannte, hat sein Vordiplom gefeiert und Frieder eingeladen.“
    „War es die sogenannte Liebe auf den ersten Blick?“
    Sie drehte das Glas in ihren Händen.
    „Er gefiel mir, weil es nichts an ihm gab, was mir missfallen hätte. Ich hatte vorher zwei schlimme Enttäuschungen erlebt, direkt hintereinander. Es war für mich damals eine Qual, allein schon mit jemandem zu tanzen. Aber Frieder löste erstaunlicherweise keine Abwehrimpulse aus, ich weiß nicht, warum. Er hat mir geschrieben und kam drei Mal für ein Wochenende nach München, ohne an meine Schlafzimmertür zu klopfen. Das hat mich sehr für ihn eingenommen.“
    „Das Wartenlassen gefällt dir immer noch“, sagte er sehr leise, „auch wenn du selbst mit Lippenstift den ersten Brief schreibst.“
    Wieder fühlte sie, wie eine Hitze in ihre Wangen schoss. Ihr Mund fühlte sich plötzlich trocken an und pelzig. Sie drehte plötzlich den Kopf zur Seite und sagte: „Ich glaube, da war ein Geräusch in Svenjas Zimmer“, und stieg leise die Treppe nach oben. Aber sie hatte nichts gehört, sie wollte nur einen Moment alleine sein. Sie ging ins Badezimmer und stellte sich vor den Spiegel. Die oberen beiden Knöpfe der hellblauen Bluse waren offen, und sie trug keinen BH. Ihre breitknochigen, zugleich flachen Schultern ließen ihren Busen noch kleiner erscheinen; wie aufgeklebt, hatte sie damals als Mädchen gedacht und geradezu panisch Sportarten wie Schwimmen und Volleyball gemieden aus Angst, ihre Figur könne noch maskuliner werden. Was willst du, fragte sie den Spiegel, aber der Spiegel gab keine Antwort. Sie nahm ihr Parfüm in die Hand und stellte es unbenutzt wieder auf die Ablage.
    Als Daria die Treppe hinunterging, stellte sie fest, dass Georg das Licht gelöscht, die Terrassentür geschlossen und den Vorhang ganz zugezogen hatte. Die roten Stand-by-Lichter des Fernsehers und des Videorecorders hingen, ihres Hintergrundes beraubt, wie verirrt im Raum. Daria meinte, Georg atmen zu hören. Er saß wieder auf dem Fußboden, den Rücken an die Couch. Auch sie setzte sich wieder an dieselbe Stelle. Sie wusste natürlich, was geschehen würde. Sie wusste nicht, ob sie es wollte oder ob sie es nur nicht verhindern wollte.
    Seine Hand lag plötzlich auf ihrem Oberschenkel, ohne dass sie die Bewegung gesehen hätte. Sie ließ ihren Oberkörper langsam in seine Richtung sinken und drehte sich dabei, dass sie mit dem Gesicht beinahe die Rückenlehne berührte. Er legte sich, geschickt und lautlos, hinter sie. Wie zur Bestätigung bewegte sie ihren Unterleib leicht nach hinten. Sein Echo kam langsam, aber sehr bestimmt. So wollte sie bleiben, sie hätte ihn nicht küssen können, sie hätte Georg unmöglich küssen können.
     
    An der ersten roten Ampel schloss Bernhard die Augen und rollte den Kopf entgegen dem Uhrzeigersinn. Er stöhnte leicht. Als Frieder sich um kurz vor neun aus dem Schlafsack geschält hatte und ins Bad ging, sah er auf dem Küchentisch eine Flasche Grappa stehen. Kein Glas. Frieder hatte geduscht, die Kaffeemaschine angestellt und frische, handwarme Semmeln bei einem Bäcker am Stadtgarten geholt. Sie waren alt, als sein Bruder in die Küche kam, zwischen eins und zwei.
    Die Ampel schaltete auf Grün, und Frieder stieß seinen Bruder, der sich gerade die Augen rieb, in die Seite. Es gab kaum Verkehr auf der Straße heraus nach Durlach, Bernhard schwieg, Frieder schaute den Fußgängern nach.
    „Willst du unbedingt zum Friedhof?“, fragte Bernhard, als sie sich dem Hardtwald näherten. Frieder nickte.
    Ihre Mutter war völlig überraschend gestorben, eine Lungenembolie. An einem Montag Ende Mai; Frieder kam aus der Schule, es waren die letzten Wochen vor den schriftlichen Abiturarbeiten, vor dem Haus stand ein Krankenwagen, die Haustür stand offen. Als er hineinging, die Schultasche in

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