Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
sie. Die Rose gehört jetzt dir, wie die Säule. Die ganze Macht und Herrlichkeit von Rom …«
Was hat er damit gemeint? Die Säule gehört zu meinem Wappen. Sie ist das Hoheitszeichen der Colonna, des mächtigsten Familienclans in Rom neben den Orsini. Und die rote Rose? Sie ist das Hoheitszeichen der Orsini …
Ich schüttele den Kopf und versuche zu begreifen, was in jener Kapelle in Byzanz geschehen ist. Zwei Tote. Diniz, der Schwertbruder und Freund von Galcerán, und der Conte Cesare Orsini …
Mir stockt der Atem.
»Ich bin Alessandra Colonna«, sage ich mit fester Stimme und lausche dem Klang meines Namens. Ich muss mich erst wieder daran gewöhnen. »Ich bin Contessa des Patrimonium Petri. Ich regiere ein Lehen der Kirche. Ich kommandiere ein Heer. Ich bin Vikarin Seiner Heiligkeit des Papstes. Ich bin seine Stellvertreterin, seine Gesandte und seine Vertraute.«
»Und Ihr seid die Verteidigerin von Byzanz. Es ist mir eine Ehre, Euch endlich kennenzulernen, Euer Gnaden!«, sagt eine Stimme hinter mir auf Türkçe. »Ich habe lange nach Euch gesucht.«
Kapitel 35
Im eingestürzten Ossarium
21. Dezember 1453
Irgendwann vor elf Uhr nachts
Vor Schreck lasse ich den Siegelring fallen, der im Schnee versinkt. Mit dem Dolch in der Faust wirbele ich herum.
Ein Yeniçeri, ganz in Schwarz gekleidet, zieht sein rußgeschwärztes Kilij-Schwert. Er ist der Janitschar, den ich vorhin an meinem Bett gesehen habe.
»Der Padi ş ah wünscht Euch in Istanbul zu sehen, Euer Gnaden. Fatih Mehmed hat mir befohlen, Euch zu ihm zu bringen. Tot oder lebendig.«
Das heiße Gefühl drohender Gefahr pulsiert durch meine Adern. Ich spanne die Muskeln an und mache mich bereit, über die Schulter nach dem Griff meines Schwertes zu greifen.
»Wo ist das Mandil – das Mandylion? Fatih Mehmed will es zurückhaben!«
Das arabische Wort Mandil bedeutet Schleier oder Tuch. Ist das Mandylion ein Tuch? Mit einem nicht von Menschenhand gemalten Abbild Jesu Christi? Was will der Sultan damit? Dasselbe wie der Großmeister!, schießt es mir durch den Kopf. Dasselbe wie der Papst!
Als ich taumelnd aufstehe, bemerke ich aus den Augenwinkeln einen zweiten Schatten, der sich mit einem Schwert in der Hand über die verstreuten Gebeine nähert.
Zwei Yeniçeriler?, frage ich mich verwundert und erschrocken zugleich. Den Kampf gegen zwei Krieger aus der Elitetruppe des Sultans werde ich nicht überleben! Ich bin viel zu schwach für einen Schwertkampf gegen zwei Gegner. Und der Kampfplatz ist durch die festgefrorenen Schädel und schneebedeckten Gebeine lebensgefährlich. Ich werde stürzen. Und dann sterben.
Nein, Sandra, lass dich nicht auf diesen Kampf ein! Du kannst ihn nicht überleben. Lauf, Sandra, lauf!
Lautlos huscht der zweite Yeniçeri näher. Abrupt wende ich mich um, springe über die ausgehobene Grube und renne so schnell ich kann an den Wandnischen vorbei zum Torbogen, durch den ich das Ossarium vorhin betreten habe.
Mit erhobenem Kilij stürzt sich der Yeniçeri auf mich, brüllt »Im Namen Allahs!«, verfehlt mich jedoch mit seinem Schwert und setzt mir nach.
Und der andere? Keine Ahnung. Ich kann ihn nicht hören.
Mein Herz pumpt Eiskristalle durch meine Adern, während ich die Ruinen verlasse und an der Einsiedlergrotte vorbei zur Turmruine hetze. Ich will zum Geheimgang, der durch den Berg zum Wäldchen führt.
Mühsam ändere ich die Richtung, als plötzlich der zweite Yeniçeri aus den Schatten vor mir auftaucht. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch, wie er die Hand hebt, um mich aufzuhalten, dann werfe ich mich herum und stürme weiter in Richtung Campanile.
Nur noch wenige Schritte!
Dann fällt mir ein, dass ich vor Stunden, als ich vor dem Hashishin geflohen bin, die Tür von innen verriegelt habe.
Fluchend renne ich weiter.
Diese Pforte ist der einzige Fluchtweg.
Ist sie verschlossen, bin ich tot.
Kapitel 36
Vor dem Portal des Glockenturms
21. Dezember 1453
Kurz vor elf Uhr nachts
Sie ist nur angelehnt.
In vollem Lauf reiße ich sie auf, stürme ins Treppenhaus und werfe mich herum, um sie zu verriegeln. Im letzten Augenblick stößt ein Stiefel in den Spalt zwischen Tür und Rahmen.
Ich wirbele herum und haste die enge Wendeltreppe hinauf zur Kirche. Er folgt mir, vier oder fünf Stufen hinter mir, gerade außerhalb der Reichweite seines Kilij.
Wie lange halte ich noch durch?
Ich bin zu erschöpft, zu schwach.
Abrupt bleibe ich stehen, wende mich mit einer geschmeidigen Bewegung um und reiße den
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