Das letzte Kind

Titel: Das letzte Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart

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Sie wollte Johnnys Arm nicht loslassen.«
    »Und Johnny Merrimon? In welchem Zustand war er?«
    »Zustand? Verdammt. Er sah aus wie ein wilder Indianer.«
    »Wie ein wilder Indianer?«
    Die Reporterin schob ihm das Mikrofon unter die Nase. Charlie schluckte und wandte den Blick von ihrem Mund. »Ja. Er hat rabenschwarzes Haar, wissen Sie, und schwarze Augen. Er ist schmal wie ein Frettchen und hatte kein Hemd an. Hatte Federn und Knochen um den Hals gehängt — ich hab einen Schädel gesehen, ich schwör's bei Gott, einen Schädel —, und sein Gesicht war schwarz und rot bemalt, mit Streifen.« Er machte eine Bewegung mit den gespreizten Fingern. »Wissen Sie, wie eine Gesichtsbemalung.«
    Die Reporterin geriet in Aufregung. »Eine Kriegsbemalung?«
    »Für mich sah er einfach schmutzig aus. Schmutzig, und mit weit aufgerissenen, wilden Augen. Und er war außer Atem, als wäre er soeben zehn Meilen gerannt.«
    »War er verletzt?«
    »Zerschnitten. Aufgeschlitzt, würde ich sagen. Aufgeschlitzt und voller Blut und Dreck. Er hatte Mühe, das Lenkrad loszulassen. Sie mussten ihn auch aus dem Wagen ziehen. Eine Sauerei, sag ich Ihnen.« Er nickte. »Eine Sauerei.«
    Sie hielt das Mikrofon noch näher. »Würden Sie sagen, Johnny Merrimon hat Tiffany Shore vor dem Mann gerettet, der sie entführt hatte?«
    »Davon weiß ich nichts.« Er zögerte und starrte in den Ausschnitt der Reporterin. »Wie Gerettete sahen sie für mich beide nicht aus.«
    Hunt stand im hellen Flur, und sein Spiegelbild war eine verdrehte Kurve im glänzend gebohnerten Fußboden. Eine Ader pochte an seiner Schläfe, ätzende Glut stieg in seiner Brust herauf. Er sprach mit seinem Vorgesetzten und musste sich beherrschen, um den Mann nicht niederzuschlagen.
    »Wie zum Teufel konnte Ihnen das entgehen?« Der Chief hatte Hängeschultern und eine füllige Taille; er galt als intolerant und hatte den Überlebensinstinkt eines Politikers. Normalerweise war er klug genug, Hunt nicht in die Quere zu kommen, aber heute war kein normaler Tag. »Um Himmels willen, Hunt, der Mann ist ein bekannter Pädophiler.«
    Hunt zählte im Stillen bis drei. Ein Arzt kam vorbei, dann eine magere Krankenschwester mit einer fahrbaren Trage. »Wir haben ihn zweimal befragt. Er hat uns erlaubt, sein Haus zu durchsuchen, und wir haben es getan. Es war clean. Er ist nicht der einzige bekannte Straftäter. Es gab andere, bei denen das Risiko höher eingeschätzt wurde. Unser Personal ist begrenzt.«
    »Das ist mir nicht gut genug.«
    Hunt zählte die Punkte an den Fingern ab. »Seine letzte Straftat lag neunzehn Jahre zurück. Seine Bewährung endete vor sechzehn Jahren. Es gibt andere Vorbestrafte mit einem schlimmeren Strafregister, und von dem Schuppen konnten wir nichts wissen. Es liegt keine Baugenehmigung vor, es gibt weder Strom- noch Wasseranschluss. Nichts auf den Grundsteuerkarten. Der Schuppen taucht nirgends auf, liegt völlig im Dunkeln. Es könnte zehntausend solche Schuppen in diesem County geben, ohne dass wir davon wissen. Dann ist da Levi Freemantle. Ich habe nie eine Spur gesehen, die handfester aussah. David Wilson sagte, er habe das Mädchen gefunden. Freemantles Fingerabdruck war an seiner Leiche —«
    »Die Leute da draußen nageln mich ans Kreuz.« Der Chief deutete mit dem Finger zum Ausgang. »Und zwar im landesweiten Fernsehen.«
    »Tja, darauf hab ich keinen Einfluss.«
    Der Chief machte schmale Augen, und seine Stimme wurde bedrohlich leise. »Das macht Ihnen Spaß, nicht wahr?«
    •Reden Sie keinen Quatsch.«
    »Man will wissen, wie dieser Junge Tiffany Shore finden konnte, wenn wir es nicht konnten. Er ist dreizehn, Herrgott, und die wollen einen Helden aus ihm machen.«
    »Wir wissen nicht, was da draußen passiert ist.«
    »Ich sehe aus wie ein Idiot! Und da wir gerade von dem Jungen reden — vielen Dank auch dafür, dass Sie Ken Holloway einen Grund gegeben haben, mir die Hölle heiß zu machen. Ich habe vier Anrufe aus dem Rathaus bekommen. Vier, darunter zwei vom Bürgermeister. Holloway erhebt schwerwiegende Vorwürfe. Er droht mit Klage.«
    Hunts Wut steigerte sich um eine Stufe. »Er hat einen Ihrer Polizisten angegriffen. Das sollte Sie interessieren.«
    »Mir kommen die Tränen, Hunt. Er hat mit dem Finger gegen Ihre Brust gestoßen.«
    »Er hat meine Ermittlungen gestört.«
    »Irgendetwas hat er gestört, ja.« Dem Chief war anzusehen, dass er etwas unausgesprochen ließ. Hunt straffte die Schultern. »Was soll das