Das letzte Opfer (German Edition)
Christa reden. Er fragte, ob sie schon da sei. «Das will ich doch schwer hoffen», antwortete Christa. «Sonst ist aber Schluss mit lustig.»
Das war es ohnehin. Am nächsten Morgen fragte Johannes Franken, ob sie noch viel Ärger mit ihrem Bruder bekommen habe. Er nahm an, sie sei verprügelt worden, weil Norbert kurz nach ihr aus der Diskothek gestürmt war. Er selbst war bis weit nach Mitternacht mit den anderen geblieben.
Tagelang hielten sich die blauen Flecken, an den Armen, den Beinen, in der Seite, sogar am Hals. Doch davon sah niemand etwas. Sie trug einen Pullover mit Rollkragen, was um die Jahreszeit keinen Argwohn erregte. Bei ihnen ging keiner ins Bad, wenn schon jemand drin war.
Früher, als sie noch klein gewesen war, hatte Norbert sie immer baden und ins Bett bringen müssen, weil Christa keine Zeit hatte. Mit fünf konnte sie das alleine, da kontrollierte er nur noch, ob sie sich den Rücken richtig abgetrocknet hatte.
Aber dann kam er einmal herein an einem Samstagnachmittag, als sie in der Wanne lag. An dem Wochenende war Karlheinz zu Hause. Sie war vierzehn, hatte schon einen üppigen Busen. Sie beide dachten sich nichts dabei, er war doch ihr Bruder, wollte nur wissen, ob sie sein Portemonnaie irgendwo gesehen hätte. Hatte sie nicht. Sie überlegten, wo er es gelassen haben könnte. Da kam Karlheinz dazu und regte sich fürchterlich auf.
«Raus hier!», brüllte er Norbert an. «Was fällt dir ein, du Spanner? Wenn du ein nacktes Mädchen sehen willst, such dir eine Freundin. Bist ja nun wirklich alt genug, musst nur deine Ansprüche ein bisschen runterschrauben. Es kann nicht jeder eine Schönheitskönigin kriegen.» Anschließend hielt er Christa einen Vortrag, sie solle ein bisschen aufpassen.
Seitdem musste sie die Tür abschließen. Im Gesicht war sie nicht schlimm verletzt, hatte nur ein paar Schrammen auf einer Wange. Ihr Parka war dreckig, natürlich auch die Jeans, an der zudem die Verschlussniete aus dem Stoff gerissen und der Reißverschluss kaputt war. Christa empörte sich, weil die Jeans neu gewesen war und der Parka in die Reinigung musste.
Sie erzählte ihrer Mutter, was sie auch schon Johannes Franken gesagt hatte, sie sei gestolpert, hingefallen und mit der Jeans irgendwo hängen geblieben. Christa glaubte ihr. «Kannst du nicht besser aufpassen mit deinen Sachen? Ich finde das Geld doch nicht auf der Straße.» Damit war die Sache vom Tisch.
Vielleicht hätte sie ihrer Mutter die Wahrheit sagen müssen. Aber so etwas wollte Christa doch nicht hören. Vergewaltigung. Was hätten die Nachbarn gesagt und die Kundinnen? Sie hatten einmal darüber gesprochen, ganz allgemein. Und Christa sagte, viele Frauen seien selber schuld, wenn ihnen so etwas passiere, sie würden es förmlich herausfordern. Die Röcke so kurz, wie es kürzer nicht ging, knappe Oberteile, aus denen fast alles herausquoll, den Männern die Köpfe verdrehen. «Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.»
Sie hatte sich nicht in Gefahr begeben. Sie war hineingeschickt worden. Und wenn sie offen mit ihrer Mutter gesprochen hätte, Christa hätte sie doch umgehend zum Gynäkologen geschleift und auf einer Abtreibung bestanden. Jasmin wäre nie geboren worden, und dieses Kind war jeden Preis wert.
So hatte sie es damals natürlich nicht gesehen, da war sie nur wie gelähmt gewesen, als ihre Periode ausblieb, nahm trotzdem ein Päckchen Damenbinden und ließ sie verschwinden. Übel war ihr nicht am Morgen, sie hatte nur ständig Hunger. Damit erklärte sich, dass sie an Gewicht zulegte. Als die Jeans zu eng wurden, zog sie Gummis durchs Knopfloch, trug die Pullover drüber und hoffte, dass es irgendwie von alleine wegginge.
Aber dann sprachen sie in der Schule über einen blasphemischen Bericht in einer Illustrierten. Es ging um die Geburt Jesu. Der Verfasser des Berichts behauptete, Maria habe als junges Mädchen oft ihre schwangere Cousine Elisabeth besucht, die Mutter von Johannes dem Täufer. Marias Weg führte durch Besatzungsgebiet, wo es von römischen Soldaten nur so wimmelte. Das war nicht ungefährlich für ein junges Mädchen. In der Illustrierten wurde die Frage aufgeworfen, was ein Mädchen in damaliger Zeit seiner Familie erzählt hätte, wenn ein römischer Soldat ihm die Ehre genommen hatte. Vielleicht hätte dieses Mädchen behauptet, ein Engel des Herrn habe ihm die frohe Botschaft verkündet, und dann sei der Heilige Geist über es gekommen.
Den Heiligen Geist hätte Christa ihr kaum
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