Das letzte Opfer (German Edition)
sei bei ihr gewesen. Ebenso gut kann er nach Lübeck gefahren sein, seine Frau aus dem Café gewinkt und beseitigt haben.»
Die Ermittler in Schleswig-Holstein sahen es inzwischen so. Dass Waltraud Habel tatsächlich einen Anruf von einem vermeintlichen Kleinverleger erhalten und eine Verabredung getroffen hatte, war nicht zu beweisen und schien in Anbetracht der vier Monate, die seit Erscheinen ihrer Anzeige vergangen waren, unglaubwürdig.
«Und warum glaubst du das nicht?», fragte seine Frau. Ihr erschien es ebenso einleuchtend wie der Polizei in Lübeck.
«Es ist nicht Habels erste Affäre», erklärte er. «Ich habe mit einer Nachbarin gesprochen, die meinte, Waltraud Habel hätte die Seitensprünge ihres Mannes toleriert, weil sie seit der Geburt ihres Kindes sexuelle Probleme gehabt hätte. Der Mann hat eine Liaison, aber kein Motiv. Abgesehen davon muss sie einen triftigen Grund für die Fahrt nach Lübeck und den Besuch des Cafés gehabt haben. Eine einsame Vergnügungstour scheidet aus. Dafür hatte sie kein Geld.»
«Was kostet denn ein Tee?», fragte seine Frau. «Vielleicht brauchte sie mal eine ruhige Stunde, um über ihre Ehe nachzudenken. Man kann viel tolerieren, aber irgendwann wird es zu viel.»
«Spricht da die Erfahrung?» Er lächelte müde. «Den Kleinverleger kann Habel sich nicht aus den Fingern gesaugt haben. Das ist eine kompakte Story, sogar die Sache mit dem Haushaltsratgeber stimmt. So ein Bändchen war geplant – vor achtzehn Jahren. Habel ist siebenundzwanzig und hat keine Verbindung nach Koblenz. Aber das erste Opfer hatte eine. Anja Heckel machte eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Willst du raten, wer sie dazu angeregt hat?»
Als seine Frau den Kopf schüttelte, sagte Scheib: «Der Kleinverleger aus Koblenz war ein Bruder ihres Großvaters. Diesen Haushaltsratgeber hat Anja damals in ihrer Freizeit zusammengestellt. Die guten Tipps hatte sie von irgendeiner alten Frau aus der Nachbarschaft bekommen.»
Er hatte eine Verbindung gefunden, den Bogen vom ersten zum vorerst letzten Opfer gespannt, das wurde schließlich auch honoriert. Kurz nach dem Verschwinden von Waltraud Habel bot man ihm eine Ausbildung zum Fallanalytiker an. Lukas Wagenbach hatte sich dafür eingesetzt. Er reichte ihm die Hand zur Zusammenarbeit, trotzdem lehnte Scheib zuerst ab.
Er war immer noch deprimiert, und Fallanalytiker oder Profiler hatten sie genug. Rund zwanzig Köpfe umfasste die Abteilung, der Wagenbach vorstand. Inzwischen bildeten sie sogar selbst aus. Seit einem Jahr war zudem ein Computerprogramm im Einsatz – VICLASS –, das sämtliche Tötungsdelikte erfasste und es erlaubte, binnen kürzester Zeit vergleichbare Fälle aufzuspüren. Da konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, wozu sie ihn brauchen sollten. Er war doch nur der Geisterjäger, hinter dessen Rücken gelästert wurde.
Nach einem längeren Telefongespräch mit Kirby entschloss er sich dann doch, das Angebot anzunehmen. «So eine Chance kommt nicht zweimal», sagte Kirby. «Wenn sie dich unbedingt haben wollen, schlag ihnen einen Deal vor. Fallanalytiker ist nicht schlecht, aber als Sonderermittler mit entsprechenden Kompetenzen hast du andere Möglichkeiten. Du musst nicht mehr betteln, dass etwas getan wird, du kannst es anordnen.»
Anfang 1999 absolvierte er eine achtwöchige Schulung, eher einen Crashkurs, aber er hatte ja Vorkenntnisse, musste nur noch lernen, seine Fähigkeiten nicht zu verschwenden an eine aussichtslose Sache. Das Motto lautete: Vergiss das Phantom. Es gibt genug andere, die noch größeren Schaden anrichten.
Ende März nahm er seine Arbeit als Sonderermittler auf. Das Büro teilte er mit Wagenbach, vielleicht aus Platzmangel, vielleicht zur Kontrolle. Doch davon ließ Wagenbach ihn nichts spüren. Scheib arbeitete weitgehend auf sich allein gestellt, der Fachmann für Fälle, die sonst keiner wollte. Er hatte lediglich zu Besprechungen zu erscheinen, wenn etwas Besonderes anlag.
In den ersten Monaten gingen Wagenbach und er noch förmlich miteinander um. Dann bot Wagenbach ihm das Du an und duldete stillschweigend, dass er sich lieber mit Kirby austauschte, statt bei ihm Rat zu suchen. Aber Wagenbach wollte ja auch nichts hören von einer Mordserie, die im September 1982 ihren Anfang genommen hatte.
Man mochte ihm noch so viel Arbeit aufbürden, er fand immer ein paar Minuten für seinen speziellen Fall. Er begann, Hotelbuchungen allein reisender Männer zu sammeln. Kirbys Theorie
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