Das letzte Opfer (German Edition)
konnte, früh genug oder überhaupt nach Hause zu kommen, spielte Jasmin den Babysitter für Kevin. Zweimal blieb sie auch über Nacht, als Markos Bett frei war. Ein Gästezimmer hatten sie nicht, auch kein Gästebett im Kinderzimmer, nicht mal eine Luftmatratze.
Es waren zwei sehr schöne Nächte. Jasmin gefiel es, neben ihr einzuschlafen und vorher noch lange zu erzählen, vielmehr zuzuhören. Die romantische Geschichte vom italienischen Austauschschüler, der gar nicht wusste, dass er eine Tochter hatte, hörte Jasmin besonders gerne. Einmal sagte sie, es wäre bestimmt toll, einen richtigen Vater zu haben und eine junge, moderne Mutter. Aber auf Dauer bei ihr leben wollte sie nicht.
«Lass mich bei Mama bleiben», sagte Jasmin, als Karen nach der zweiten gemeinsamen Nacht beim Frühstück eine Andeutung machte. «Wir sehen uns doch oft, Karen, so oft du willst. Wenn ich bei euch einziehe, das kann man keinem mehr erklären. Und jetzt hast du doch auch ein richtiges Kind.»
Es tat weh, wie sie das ausdrückte. Jasmin war doch kein falsches Kind, im Gegenteil. Karen musste sie einfach mehr lieben als Kevin, weil sie nie einen richtigen Vater gehabt, nie das bekommen hatte, was Kevin von Marko bekam.
Aber ansonsten schien alles in Ordnung. Seit der Teich nicht mehr existierte und der Springbrunnen in der Garage lag, waren die Eindrücke von Blut früh am Morgen völlig verschwunden. Und die vermisste sie wahrhaftig nicht. Nur die unschuldige Karen fehlte ihr manchmal sehr. Das achtzehnjährige Mädchen, das stolz gewesen war auf eigene Leistungen. Jetzt war sie nur noch stolz auf andere.
Sehr stolz auf ihre Tochter, die alle Welt für ihre jüngere Schwester hielt und für ein sehr begabtes Mädchen, was Jasmin tatsächlich war. Sie ging bereits aufs Gymnasium, brachte erstklassige Noten nach Hause und sprach schon von einem Studium. Theater spielte sie nicht, war fest entschlossen, «Mamas» Traum zu erfüllen und die erste Akademikerin in der Familie zu werden. Frau Doktor Jasmin Dierden!
Bei jedem Besuch erzählte sie von ihren Zukunftsplänen. «Am liebsten möchte ich in Köln studieren. Norbert hat schon gesagt, wenn ich achtzehn bin, macht er für mich ein Auto zurecht.»
Natürlich! Und Jasmin hätte einen Führerschein, ehe sie sich das erste Mal alleine hinters Steuer setzte. Jasmin würde ihr Leben richtig leben, sich nicht durchmogeln in diversen Rollen, nicht in einen Computer tippen, wie es hätte sein können. Jasmin würde niemals töten. Sie war eben ein Wunder, auf das Karen zu Recht stolz sein durfte, immerhin hatte sie dieses Wunder in die Welt gesetzt.
Sie war auch stolz auf Markos Erfolg, wozu sie nichts beigetragen hatte. Neben all der Arbeit in der Agentur hatte er sich einen sehr guten Namen geschaffen. Künstler, Wirtschaftsbosse, sogar Politiker waren auf ihn aufmerksam geworden und forderten ihn an, wenn sie Aufnahmen für die Öffentlichkeit brauchten. Wenn er auf den Auslöser drückte, sahen die Leute nur, was sie sehen wollten. Er hatte Fotos von Kevin gemacht, auf denen ihr Sohn aussah wie ein Bilderbuchkind, so niedlich und brav.
Ein bisschen stolz war sie hin und wieder sogar auf Kevin. Er war ein Tyrann, ein Quälgeist, aber ein aufgewecktes Kerlchen. Was er aus Bausteinen zusammensetzte, musste jeden erstaunen. Seit er mit Karlheinz das erste wacklige Gebilde errichtet hatte, waren Bausteine sein liebstes Spielzeug. Christa meinte, es müsse das Blut seines Großvaters sein. Und er war nicht nur geschickt und phantasiebegabt. Mit seinem Wortschatz stellte er Norberts Sohn in den Schatten, obwohl Michael fast drei Jahre älter war. Er begann schon zu fragen, was dieses oder jenes Wort bedeute, wenn sie am Computer saß.
Christa sagte oft: «Das muss er von dir haben.» Das Aussehen hatte er von Marko. Er war ein hübsches Kind, mit seinem dunklen Haar und dem feinen, schmalen Gesicht.
Seinen dritten Geburtstag feierten sie an einem Samstagnachmittag im Februar 2000 bei Christa. Und an dem Tag holte der alte Mann auf dem Fahrrad sie endgültig ein.
Der Geisterjäger
Für Lukas Wagenbach hatte es in den vergangenen Monaten so ausgesehen, als habe Thomas Scheib das Phantom bis zum September 2000 auf Eis gelegt. Aber so war es nicht.
Irgendwo lagen noch fünf ermordete Frauen, vielleicht alle im Spessart, verteilt über ein Gebiet von zig Kilometern. Zwei Funde in einer Region sprachen dafür. Andererseits stammten beide Opfer aus der Gegend. Und es gab so viele
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