Das letzte Opfer (German Edition)
vom Wohnmobil hatte er nach Sabine Bergholts Tod verworfen. In so eine Kiste wäre die Lady nie eingestiegen, da hätte sie sich gefühlt wie eine vom Straßenstrich. Und ein Frühstück in einem Hotel, zusammen mit etlichen Ahnungslosen, die nicht im furchtbarsten Albtraum darauf gekommen wären, was der Mann an ihrem Tisch oder neben ihnen am Büfett für den Abend plante, das hatte etwas, verschaffte dem Phantom garantiert noch einen besonderen Kick.
Er schöpfte seine neuen Kompetenzen weidlich aus, scheuchte die Frankfurter Polizei, die Namen aller männlichen Gäste beizubringen, die zwischen 1994 und 1996 in Frankfurt und Umgebung ein Hotel- oder Pensionszimmer genommen hatten. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf dem Hotel in Hofheim-Diedenbergen, in dem Sabine Bergholt zuletzt gesehen worden war. Wenn sie es nicht als Treffpunkt vorgeschlagen hatte, musste der Mörder es kennen, war vielleicht vorher schon einmal dort abgestiegen. Und er beschränkte sich nicht auf Frankfurt, sammelte auch in und rund um München und Lübeck. Alles andere lag zu lange zurück.
In unzähligen Überstunden gab er die Namen und Anschriften von abertausend Männern eigenhändig in die Datenerfassung. Namen, die mehrfach auftauchten, ließ er durch Ermittler vor Ort überprüfen, besonders gründlich, wenn eine Adresse aus dem Kölner Raum oder der Eifel angegeben war. Er war unverändert überzeugt, dass das Phantom den ersten Mord in seiner Komfortzone begangen hatte. Aber seit Anja Heckels Ermordung konnte der Mörder mehrfach umgezogen sein.
Freunde schuf er sich nicht mit seinem Eifer. In Köln verdrehte man die Augen, wenn wieder mal die Anweisung von ihm kam, irgendeinen harmlosen Menschen auf Herz und Nieren zu überprüfen, nur weil er mal für zwei Tage in München, Frankfurt oder Lübeck gewesen war, Urlaub im Spessart oder in Schleswig-Holstein gemacht oder eine Beziehung zu Buchhandel oder Verlagen hatte.
Er handelte sich den Ruf ein, arrogant zu sein, ein Emporkömmling, der es geschafft hatte, sich mit einer fixen Idee aufs hohe Ross zu schwingen. Nur Wagenbach kannte ihn beruflich noch von einer anderen Seite, als einen Mann, der nichts übersehen wollte, den man in Weißglut versetzte, wenn man nicht genau hinschaute. Gründlich und korrekt, ausgestattet mit einer untrüglichen Intuition, die Wagenbach manchmal unheimlich war.
Zweimal kam ihm zu Ohren, dass Scheib in Verhören den Verdächtigen auf den Kopf zugesagt hatte, wie sie vorgegangen waren, was sie dabei empfunden und gedacht hatten. Und einmal hatte er nach einer halbstündigen Befragung zu den anwesenden Ermittlern gesagt: «Der Mann kann gehen, er war es nicht.» Was sich dann, zwei Zeugenaussagen zum Trotz, als Tatsache erwies.
Nur in seinem speziellen Fall kam er keinen Schritt weiter.
Aufwärts
Anfang 1999 feierten Karen und Marko Stichler den zweiten Geburtstag ihres Sohnes mit der ganzen Familie. Karlheinz und Margo waren auch dabei. Es war nach langer Zeit der erste wirklich friedliche Nachmittag für sie.
Kevin spielte länger als eine Stunde mit Jasmin und Michael, ging freiwillig zu Norbert und ließ sich auf den Schoß nehmen, gab Sarah ohne Aufforderung einen Kuss auf die Wange und Christa auch einen, als sie danach fragte. Mit seinem Großvater baute er ein wackliges Gebilde aus Legosteinen und weinte enttäuscht, als es zusammenbrach. Karlheinz baute ihm ein neues, da lachte er wieder.
Ein paar Wochen später machte Marko den ersten Versuch, ihren Kindertraum zu erfüllen, wenn auch nur in bescheidenem Rahmen. Theater, eine Laienspielgruppe. Sie führten zweimal jährlich ein Stück auf, im Mai und im November. Einer ihrer Nachbarn war Gruppenleiter, Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person. Von Beruf war er Versicherungsvertreter. Marko hatte vor Kevins Geburt eine hohe Lebensversicherung bei ihm abgeschlossen, um Karen abzusichern, weil er doch sehr viel mit dem Auto unterwegs war und man nie wissen konnte.
Schon bei der Gelegenheit hatte er erwähnt, dass sie bereits als kleines Kind leidenschaftlich gerne auf einer Bühne gestanden und großes Talent hatte. Als die Proben für die Mai-Aufführung anstanden, lud man sie dazu ein. Ihre Begabung wurde schnell erkannt. Schon nach der ersten Aufführung war klar, dass sie das Niveau der restlichen Darsteller weit überragte.
Für das zweite Stück im November bekam sie bereits eine größere Rolle. Es waren insgesamt acht Proben angesetzt. Wenn Marko es nicht einrichten
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