Das letzte Opfer (German Edition)
mochte. Was ihr Mann anrichten konnte in seinem Bemühen, diesem Mörder das Handwerk zu legen, wagte sie sich nicht auszumalen.
Mit dem Beginn des neuen Jahres begriff auch Lukas Wagenbach, dass Thomas Scheib nicht noch einmal abwarten konnte, auf Zeugen hoffen, die mehr sahen als für zwei Sekunden ein Gesicht. Er hatte gehofft. Und bei Sabine Bergholt war es nur ein Rücken gewesen, bei Waltraud Habel gar nichts. Ihre kleine Tochter ging ihm nicht aus dem Sinn. Manchmal ertappte er sich bei dem Gedanken, dass ihn eine zweite Julia Roberts oder Sabine Bergholt nicht derart erschüttert hätte.
Aber es sollte keine mehr dazukommen, dafür wollte er sorgen, endlich tun, was ihm schon nach seinem ersten Aufenthalt in den USA vorgeschwebt hatte, an die Öffentlichkeit gehen. Und wenn sich niemand meldete, der das Phantom einmal mit einem Koffer, einer Reisetasche oder dem Fotoapparat von Silvia Lenz gesehen, wenn der Mörder niemals eine Armbanduhr oder ein Kettchen verschenkt hatte, blieb immer noch eine Möglichkeit, die Lücke 1990.
Gnade bei Nichtgefallen, hatte Kirby gesagt. Das schloss er völlig aus. Dieser Kerl kannte keine Gnade, sonst hätte er nicht einem zweijährigen Kind die Mutter genommen. Es musste etwas anderes gewesen sein, ein unliebsamer Zwischenfall auf der Strecke. Vielleicht war er tatsächlich mit seinem Opfer in eine Verkehrskontrolle geraten oder in einen Unfall verwickelt worden und hatte es anschließend aussteigen lassen. Und daran musste eine Frau sich erinnern.
Anfang Januar sprach er mit Wagenbach über sein Vorhaben. Widersprüche oder gar Ablehnung hatte er nicht mehr gehört, seit sie Tisch an Tisch saßen. Jetzt sagte Wagenbach: «Das schlag dir mal gleich wieder aus dem Kopf, Thomas. Du weißt nicht, was vor zehn Jahren tatsächlich passiert ist. Wenn deine Vermutung zutreffen sollte und der Kerl es liest, holt er vielleicht nach, was er damals nicht getan hat.»
«Da müsste er die Frau aber erst aufspüren. Es ist fast zehn Jahre her. Sie kann inzwischen verheiratet und dreimal umgezogen sein. Auf jeden Fall ist sie schneller am Telefon als er im Auto.»
«Glaube ich nicht», erwiderte Wagenbach. «Sie wird erst überlegen, ob tatsächlich sie gemeint ist. Und wer garantiert dir, dass er sie aus den Augen gelassen hat? Wenn er so vorsichtig ist, wie du meinst, solltest du einkalkulieren, dass er genau weiß, wo er sie finden kann.»
Wagenbach war nicht grundsätzlich gegen eine Presseaktion. Er hatte nur eine andere Vorstellung davon als Scheib. Gegenstände aus dem Besitz der Opfer sollte man nicht erwähnen. Koffer, Reisetaschen und Bekleidung waren in fast allen Fällen Massenware gewesen. Wenn man davon etwas anführte, richtete man nur ein heilloses Chaos an, bekam unter Umständen ein paar hunderttausend Verdächtige. Relevant waren nur die Schmuckstücke, und die durfte man nicht erwähnen, sonst verschaffte man dem Phantom nur Gelegenheit, Beweise zu vernichten, das hatte Kirby ihm doch erklärt.
Die Namen Heckel und Brandow wollte Wagenbach auf keinen Fall in der Presse sehen. Heckel war zu lange her und Brandow war persönlich. Und Wagenbach machte noch mehr Abstriche. Bei Angela Karpeling, Silvia Lenz und Marion Schneider gab es keine Hinweise auf einen dunkelhaarigen Mann. Blieben von acht Opfern drei, vielmehr zwei, weil Sabine Bergholt einem sadistischen Kunden zum Opfer gefallen sein musste, davon war Wagenbach nicht abzubringen. Die Prostituierte fiele schon wegen ihres Berufs und ihres dunklen Teints aus dem Rahmen, meinte er. Bei Waltraud Habel konnte – dem Kleinverleger aus Koblenz und der Verbindung zu Anja Heckel zum Trotz – durchaus der Ehemann freie Bahn geschaffen haben für seine junge Freundin. Er war immer noch mit ihr zusammen. Und was Julia Roberts betraf, vielleicht hatte ihr Mörder sich erhängt. Damit waren sie bei Null.
«Worüber reden wir eigentlich?», fragte Thomas Scheib. «Was soll ich in eine Zeitung bringen, ein Fragezeichen?»
«Warum nicht», antwortete Wagenbach. «Eine unbekannte Tote, umgebracht vermutlich vor zehn Jahren. Wir deuten an, dass es ähnliche Fälle gibt, wir platzieren Fehlinformationen, vielleicht reagiert er.» Es war das erste Mal, dass Wagenbach wir sagte.
«Wird er nicht», widersprach Scheib in Erinnerung an das, was Kirby gesagt hatte.
«Jetzt bleib mir mit Kirby vom Leib», verlangte Wagenbach ungehalten. «Er ist nicht der liebe Gott.»
Er versprach, in den nächsten Tagen etwas auszuarbeiten.
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