Das letzte Opfer (German Edition)
Jedes Wort musste wohl überlegt sein, wenn man mit Spekulationen operierte, sich nicht lächerlich machen und nicht das geringste Risiko eingehen wollte. Es bestand ja auch die Möglichkeit, dass irgendein Wirrkopf durch einen reißerischen Artikel auf den Gedanken kam, sich als Phantom zu betätigen.
Bis Ende Januar hatte Wagenbach noch nicht die Zeit gefunden, seine wohl überlegten Worte zu Papier zu bringen. Scheib fühlte sich getäuscht und hingehalten. Anfang Februar bat die Kripo Hamburg um seine Unterstützung bei einem bestialischen Mord an einem kleinen Jungen. Der Fall sorgte für erhebliches Aufsehen in den Medien. Der zuständige Staatsanwalt versicherte in einer Pressekonferenz, es werde alles getan, um den Täter zu fassen, man habe sogar einen Fallanalytiker des BKA zugezogen. Den wollten die Journalisten dann persönlich sprechen.
Er nutzte die Gelegenheit, bat um Verständnis, dass er die aktuellen Ermittlungen nicht gefährden dürfe, brachte sein persönliches Anliegen zur Sprache und faszinierte damit den Mitarbeiter eines Wochenmagazins, der fand, diese Story müsse ganz groß gebracht werden. Um es sich nicht völlig mit Wagenbach zu verscherzen, trat Scheib als der Polizist auf, der 1994 im Fall Roberts die Ermittlungen geführt und im Zuge dessen auf ähnliche Fälle gestoßen war.
Sein Name wurde nicht genannt, auch kein Foto von ihm abgedruckt. Aber die Frauen erwähnte er alle, beschrieb ihr Gepäck, markante Kleidungsstücke wie das hellgraue Kostüm mit dem knielangen Rock von Sabine Bergholt. Auf die Erwähnung von Schmuck verzichtete er. Die Lücke zwischen Silvia Lenz und Marion Schneider wurde mit einem Fragezeichen gefüllt, im Text dazu über eine Verkehrskontrolle oder einen Unfall spekuliert, der den Mörder veranlasst haben könnte, sein Opfer gehen zu lassen.
Der Bericht erschien in der zweiten Februarwoche – mit fatalen Folgen – auch für ihn. Er hatte einen Stein ins Rollen gebracht, der ihn dann zu erschlagen drohte. Dabei sah es zu Anfang so aus, als habe er den Schritt an die Öffentlichkeit für nichts getan.
Nur in Polizeikreisen sorgte seine Aktion für erheblichen Wirbel. Etliche Wochen lang waren bundesweit unzählige Ermittler damit beschäftigt, einige tausend Männer zu überprüfen, die ihren Ehefrauen, Exfrauen, abservierten Freundinnen, Arbeitskollegen oder Nachbarn suspekt waren. Insgesamt meldeten sich sieben Spinner bei Zeitungsredaktionen und Polizeidienststellen mit der Behauptung, sie seien der Täter. Sie beschrieben in widerwärtigen Details, was sie den vermissten Frauen angetan hatten. Wie Anja Heckel und Sabine Bergholt gestorben waren, wusste keiner.
Wagenbach war verstimmt, jedoch nicht der Typ, einen Kollegen – und als solchen betrachtete er Scheib inzwischen –, offen zu maßregeln. Er strafte ihn nur mit Schweigen und vorwurfsvollen Blicken, bis Scheib schließlich sagte: «Tut mir Leid, dass es so einen Rummel gegeben hat und nichts dabei herausgekommen ist. Aber es ist ja auch nichts passiert. Niemand fühlte sich verpflichtet, als Phantom tätig zu werden, niemand ist ins Auto gestiegen, um nachzuholen, was er vor zehn Jahren unterlassen hat. Wahrscheinlich hat der Kerl nur mal herzhaft gelacht und sich den Bericht eingerahmt. Dann hängen die Frauen jetzt wohl als komplette Galerie über seinem Bett. Aber er weiß nun, dass sein Tatmuster polizeibekannt ist. Er wird sich hüten, im September auf Tour zu gehen.»
Natürlich meldeten sich auch etliche Frauen, um von verdächtigen Kontakten zu berichten. Es gab alleine siebzehn Meldungen zum September 1990. Mit jeder sprach Scheib persönlich. Damit war er noch beschäftigt, als wieder eine junge Frau verschwand, ein halbes Jahr früher als erwartet.
Das Fragezeichen
Der Samstagnachmittag Ende Februar, an dem Karen das Wochenmagazin in die Finger bekam, war für einen Kindergeburtstag etwas trostlos. Margo war nicht dabei, einem ihrer Models hatte man den Blinddarm entfernen müssen, da saß sie lieber am Krankenbett. Karlheinz war ebenfalls nicht abkömmlich gewesen. Er hatte wohl seit langem eine Freundin, bei der er die Wochenenden verbrachte, eine eigene Wohnung hatte er nämlich immer noch nicht.
«Was soll er mit einer Wohnung», sagte Norbert einmal. «Karlheinz war immer ein Nomade, das wird er bleiben. Es hat ja auch seine Vorteile, so ein Heim auf Rädern.»
Norbert war in sehr gereizter Stimmung an diesem Nachmittag. Sie saßen nur zu dritt im Wohnzimmer. Christa
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