Das letzte Opfer (German Edition)
und Sarah waren in der Küche schon mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt. Jasmin spielte in ihrem Zimmer mit Michael und Kevin. Karen war die Situation unangenehm.
Gute Freunde waren Norbert und Marko in den vergangenen Jahren wahrhaftig nicht geworden, aber sie hatten sich ihr zuliebe doch bemüht, miteinander auszukommen. Vor allem Norbert hatte sich meist von seiner besten Seite gezeigt, war jederzeit da gewesen, um die Küche zu streichen, einen Lichtschalter auszuwechseln, um all das zu erledigen, wovon Marko nichts verstand. Doch nun weigerte Norbert sich, ihm einen Gefallen zu tun in einer Sache, mit der es noch nie Probleme gegeben hatte.
Markos Wagen war nicht in Ordnung. Ein Reifen verlor Luft. Norbert hatte ihn bereits einmal in der Werkstatt geprüft und nichts festgestellt. Marko meinte, das Gewicht des Wagens hätte damit zu tun. Daraufhin sagte Norbert, dann müsse man eben mal das ganze Auto in ein Wasserbecken tauchen. Das war noch ein Scherz. Aber Marko hatte nicht viel Ahnung von technischen Dingen, glaubte es im ersten Moment und fragte irritiert: «Und was ist mit dem Motor und dem Innenraum?»
«Die Motorwäsche wird nicht extra berechnet», sagte Norbert. «In den Innenraum setzen wir unseren Lehrling mit einem Föhn.»
Marko begriff, dass Norbert ihn auf den Arm genommen hatte und reagierte verstimmt: «Erzählst du das anderen Kunden auch so?»
«Jetzt spiel bloß nicht beleidigt», fuhr Norbert auf, «nur weil dir mal einer zeigt, dass es mit deiner Intelligenz nicht so weit her ist, wie du dir einbildest. Wahrscheinlich sind ein paar Haarrisse in der Karkasse, die sich unter Druck spreizen. Kann vorkommen bei älteren Reifen.»
«Ich habe den kompletten Reifensatz erst vor vier Monaten gekauft», erklärte Marko nun auch etwas ungehalten. «Das solltest du wissen. Da kann man kaum von älteren Reifen sprechen.»
Norbert winkte genervt ab. «Wie lange sie beim Großhändler gelegen haben, ehe wir sie bekamen, weiß aber kein Mensch. Und was du in vier Monaten runterreißt, fahren andere in zwei Jahren. Bring die Kiste vorbei, dann ziehe ich neue auf. Es muss ja nicht wieder ein kompletter Satz sein, zwei reichen.»
Nur hatte Marko in den nächsten Wochen nicht die Zeit, den Wagen selbst in die Werkstatt zu bringen. Bis weit in den April standen Aufnahmen für einen Versandhauskatalog an. Er war von frühmorgens bis spätabends im Studio. Sonst tauschten sie immer, wenn eine Inspektion oder eine Reparatur notwendig war. Dann bekam er Norberts Auto, auch für zwei oder drei Tage. Norbert konnte sich jederzeit einen Vorführwagen aus der Firma nehmen. Er behauptete, das ginge diesmal nicht.
«Warum nicht?», fragte Marko.
«Reicht es nicht, wenn ich nein sage?», fragte Norbert. «Muss ich auch noch einen Rechenschaftsbericht abgeben?»
Marko schüttelte verblüfft den Kopf. «Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Habe ich dir etwas getan?»
Norbert grinste böse: «Das probierst du besser gar nicht erst. Könnte sein, dass du den Kürzeren ziehst. Ich weiß, dass du mich für blöd hältst, aber so dämlich, wie du meinst, bin ich nicht.»
Marko schaute sie an, als wolle er von ihr wissen, was mit Norbert los war. Das wusste sie nicht, wollte nicht gezwungen werden, Partei zu ergreifen, verließ das Wohnzimmer, schaute mal nach den Kindern und fragte in der Küche, ob sie helfen könne.
«Lohnt nicht mehr», sagte Sarah. «Nimm dir was zu lesen, wenn dir langweilig ist.» Auf der Fensterbank lagen ein paar Illustrierte. Christa kaufte regelmäßig welche für ihre Kundinnen. Karen fand nichts nach ihrem Geschmack. Sex, Klatsch und Tratsch über Prominente interessierten sie nicht.
«Der Stern liegt in unserem Schlafzimmer», sagte Sarah. «Norbert hat ihn mit nach oben genommen.» Dann fragte sie noch mit einem Wink in Richtung Wohnzimmer: «Dicke Luft?»
Karen nickte nur, ging hinauf in die Wohnung ihres Bruders und holte sich das Magazin. Als sie zurückkam, saß Sarah bei den Männern im Wohnzimmer wie ein Schiedsrichter. Norbert und Marko schauten geflissentlich aneinander vorbei, aber nach einem Streit sah es nicht mehr aus. Sie setzte sich wieder dazu, begann zu blättern, bis zur ersten Doppelseite mit Fotos, Namen und Daten darunter. Acht Frauen und eine Lücke.
Sie kam nicht dazu, sich die Frauen genauer anzuschauen und den Bericht zu lesen. Ihr erster Blick fiel unwillkürlich auf das freie Feld. Das Fragezeichen stach zwischen den Gesichtern
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