Das letzte Opfer (German Edition)
nächsten Nachmittag, zusammen mit Sarah. Im Keller lagen noch ein paar Ersatzfliesen. Er ging vorsichtig zu Werk, um nicht noch mehr zu beschädigen, und stellte dabei fest, dass sie mit ihren Nerven völlig am Ende war. «Was ist denn auf einmal wieder los, Karen? Du heulst doch nicht tagelang, nur weil ich mich blöd benommen habe. Hast du Probleme mit Marko?»
Sie schüttelte den Kopf. Er bohrte weiter: «Ist es wegen der Sache im Stern ? Kanntest du vielleicht eine der Frauen?»
«Woher denn?», fragte sie.
«Ich dachte ja nur», sagte er.
Was sie dachte, konnte sie ihm nicht sagen und auch sonst keinem. Immer nur Li und Jasmins Vater.
Sarah begann von den Möglichkeiten einer Therapie zu sprechen. Das wollte sie auf keinen Fall. Ihr graute bei der Vorstellung, dass ein Fremder in ihrem Innern stocherte und etwas herauspulte, worüber sie nicht mehr nachdenken wollte.
«Verdammt nochmal», brauste Sarah auf, als sie eine entsprechende Bemerkung machte, «es stochert niemand in dir herum. Was hast du denn für Vorstellungen. Du sagst nur, was du sagen willst, und hörst dir an, wie ein Psychologe darüber denkt. Er kann dir beibringen, eine belastende Situation zu bewältigen, Karen, und vielleicht auch ein paar Dinge in deinem Leben zu ändern, wenn du sie ändern möchtest.»
Sarah kannte einen Psychotherapeuten, Doktor Gerber, ein noch relativ junger Mann, der sich erst kürzlich mit einer Praxis selbständig gemacht und dazu einen Kredit bei der Stadtsparkasse aufgenommen hatte. Nun brauchte er natürlich Patienten, um die Raten zahlen zu können.
Norbert sah es jedenfalls so, er hielt gar nichts von Sarahs Vorschlag, meinte, für Gerbers Kredit sei sie nicht zuständig. Sie würde ihr Geld nur zum Fenster hinauswerfen, wenn sie einen Psychologen dafür bezahlte, ihr das Innerste nach außen zu kehren, obwohl sie gar nicht vorhatte, ihn kehren zu lassen. «Sie hat immer alles mit sich allein ausgemacht», sagte er.
Sarah war sehr verärgert über seine Einwände. «Warum hältst du nicht endlich mal deine Klappe? Sie hätte sofort nach dem Unfall in Therapie gehen müssen.»
«Ist sie aber nicht», sagte Norbert. «Sie hat es vorgezogen, den Unfallzeugen zu ehelichen, wieder aufs Land zu ziehen und sich den Quälgeist ans Bein binden zu lassen. Da liegt der Hund begraben, und wie man die Situation bewältigt, kann ich ihr auch sagen. Dafür braucht sie keinen Seelenklempner, nur einen guten Scheidungsanwalt. Ich bin sicher, dass Marko das Sorgerecht beantragt. Dann sind all ihre Probleme mit einem Schlag gelöst. Wenn er dahinter kommt, dass sie zu einem Therapeuten rennt, ist hier der Teufel los.»
«Marko muss nichts davon erfahren», wandte Sarah sich wieder an sie. «Er ist in den nächsten Wochen von morgens bis abends beschäftigt. Wenn er tagsüber mal anruft und du nicht da bist, Ausreden gibt es genug. Einkaufsbummel in Köln, danach haben wir beide noch irgendwo einen Kaffee getrunken. Ich hole dich bei Doktor Gerber ab, du fährst mit mir zurück, dann muss er das glauben. Es soll auch kein Dauerzustand werden, Karen. Sprich dir nur mal alles von der Seele. Du kannst ganz offen sein, was du Doktor Gerber anvertraust, fällt unter das Arztgeheimnis. Du könntest ihm einen Mord gestehen, er dürfte nicht darüber reden. Und finanziell ist es für dich doch kein Problem.»
Sie hatte nicht vor, einen Mord zu gestehen. Mit dem finanziellen Aspekt hatte Sarah Recht. Sie konnte sich jederzeit so viel Geld vom Konto holen, wie sie brauchte. Marko hatte noch nie gefragt, wofür sie es ausgab. Und alleine fand sie diesmal nicht mehr heraus, drehte sich nur noch im Kreis mit ihren Gedanken.
Sarah war sehr erleichtert, als sie zustimmte, übernahm die Anmeldung und vereinbarte für sie zwei Termine pro Woche, damit es schneller ging, Dienstag und Freitag. Mit ihrem Einverständnis bereitete Sarah den Therapeuten auch ein wenig vor, schilderte ihre derzeitige Verfassung und einiges von dem, was ihr bekannt war.
Der Austauschschüler oder irgendein anderer, der sich vor der Verantwortung drückte. Zwei Jahre Hausarrest nach Jasmins Geburt. Dann ein kleiner Lichtblick, Li, die aber nach vier Monaten wieder aus ihrem Leben verschwand. Und sie wurde schuldig am Tod eines Menschen, weil sie sich von ihrer Freundin verabschieden wollte und Norbert sich weigerte, sie zu fahren. Dass sie angeblich zu einem heimlichen Rendezvous mit Jasmins Vater aufgebrochen war, verschwieg Sarah, weil sie es so wollte.
Weitere Kostenlose Bücher