Das letzte Opfer (German Edition)
alarmiert und überzeugt, die Kollegen in München hätten es sich verdammt leicht gemacht mit ihrem Verdacht gegen Barbara Lohmanns Freund und dem pauschalen Urteil über eine rachsüchtige alte Frau.
Noch einmal achtzehn
Sie wusste später nicht, was sie in den ersten zehn oder fünfzehn Minuten von sich gegeben hatte. Sie nahm auch Klinkhammer nicht richtig wahr, sah nur seinen Dienstausweis und die Uniform seines Kollegen. Seit dem September 1990 hatte sie keinen Polizisten mehr so dicht vor Augen gehabt. Manchmal fuhr ein Streifenwagen durch den Ort, wenn sie mit Kevin unterwegs war, das ging sie nichts an.
Aber seit Ostern ging es nicht mehr allein um sie. Auch um Barbara Lohmann und die Zeit, die Norbert in Edenbergen verbracht hatte. Und um Julia Roberts, einen Brief, an den Norbert sich nach sechs Jahren noch erinnerte, was sie als ungewöhnlich empfand. Es ging um seinen Urlaub jedes zweite Jahr, immer dann, wenn eine Frau verschwand. Acht Frauen in der Zeitung. Und eine fehlte! Es ging um all das, worüber sie nicht nachdenken wollte, weil sie genau wusste, dass sie darüber schon vor zehn Jahren mit einem Polizisten hätte sprechen müssen, weil Li schon damals eine Andeutung gemacht hatte.
Dieses Wissen warf sie nun unvermittelt um zehn Jahre zurück – mitten hinein in ein Krankenbett. Norbert saß bei ihr und sagte: «Mach dir bloß keine Gedanken ums Auto.»
Tat sie doch gar nicht. Um ihn hatte sie sich Gedanken gemacht, wahnsinnige, grausame, unerträgliche Gedanken. Und wie er sich da über sie beugte: «Hauptsache, dir ist nichts passiert.» Dass ihm nichts passiert war, schien der Beweis, dass sie sich für nichts und wieder nichts verrückt gemacht hatte. Erst nach langen Monaten, als der Schock über den Tod des alten Mannes ein wenig abklang, war ihr bewusst geworden, dass sie einen Denkfehler machte. Li hatte versprochen, ihr zu schreiben, wenn sie wüsste, wie es mit ihr weiterginge. Aber es kam nie eine Zeile.
Wie oft hatte er gesagt: «Es war ein Unfall, verdammt nochmal. Ein Unfall und kein Mord. Warum geht das nicht endlich rein in deinen Schädel?» Weil sie es immer besser wusste. Auf jeden Fall wusste sie, dass ein Mord geplant war. So etwas vergaß man nicht. Man verdrängte es, schob es ganz tief nach unten, wollte sich nicht erinnern, nicht hypnotisiert werden, nichts verraten.
Doktor Gerber hatte mit vielem falsch gelegen und es trotzdem richtig gesehen. Sie war losgefahren, um zu verhindern, dass ihre Freundin sich mit einem Mann traf, der ihr sehr viel bedeutete. Das musste er doch, er war ihr Bruder.
Und ehe Li zurückkehrte in einen unaussprechlichen Ort in China wollte sie Jasmins Vater aus der Welt schaffen. «Er muss bezahlen für das, was er dir angetan hat, Karen. Und nicht nur dir. Da waren noch ein paar mehr. Ich habe am Freitag noch vier Stunden Zeit, ehe mein Zug geht. Es war nicht schwer, ihm ein zärtliches Rendezvous schmackhaft zu machen. Er freut sich schon auf mich. Das wird ein böses Erwachen für ihn. Ich mache ihn fertig. Ich mache ihn fix und alle. Dieser Scheißkerl wird nie wieder eine Frau anfassen. Ich schneide ihn in Streifen, ganz langsam und genüsslich, das kannst du mir glauben.»
Sie zweifelte keine Sekunde lang, dass Li es ernst meinte. Sie glaubte nur nicht, dass der rothaarige Boxertyp sich nach der Szene in der Diskothek von Li zu einem zärtlichen Rendezvous hätte überreden lassen. Aber Norbert hätte. Er mochte noch so oft auf Li fluchen und mit Sarah glücklich sein. Li war immer seine Traumfrau, mit ihr war er nicht nur glücklich, nach ihr war er verrückt gewesen. Und genau so hatte Li es doch gesagt, als die Frau, die mit ihr hinter der Theke arbeitete, daran zweifelte, dass ein Mann ohne Zwang von einer Vergewaltigung erzählte.
«Es sei denn, er ist verrückt nach dir und bildet sich ein, du würdest ihm die Absolution erteilen.»
Dass Norbert für Zahnschmerzen seinen Urlaub im Schwarzwald unterbrochen hatte, konnte sie sich auch nicht vorstellen. Man musste nicht unter die Dusche, wenn man nur zum Zahnarzt wollte. Sie konnte doch nicht zulassen, dass Li ihn umbrachte. Er mochte ein Schwein sein, ein elender Dreckskerl. Aber er war ihr Bruder und Jasmins Vater. Und Jasmin war ein wundervolles Kind.
Die beiden Polizisten waren längst nebensächlich. Was ihr Anblick aufgewühlt hatte, hielt sie gepackt und schüttelte sie durch. Sie konnte nicht allein durch die Diele gehen. Der Uniformierte musste sie stützen, führte
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