Das letzte Treffen
stöhnt
schwer.
»Ja, ja. Also, so
kommen wir momentan nicht weiter. Du hörst sicher später noch
einmal von mir.«
Versprechen? Oder Drohung?
Ich bin mir nicht ganz
sicher.
Neige allerdings eher zur
zweiten Option. Zumal Sigurlinni dafür bekannt ist, dass er hinter
den Kulissen eifrig an den Schnürchen der Macht zieht, wann es ihm
passt.
»Du wirst selten enttäuscht,
wenn du immer mit dem Schlimmsten rechnest.«
Sagt Mama.
9. KAPITEL
Raggi spart wohl auf einen
neuen Herzinfarkt.
Er hat dunkle Ringe unter
beiden Augen. Schweißperlen funkeln auf seiner Stirn. Auch auf der
glänzenden Glatze, wo sich das grauschwarze Haar schon seit Jahren
zurückzieht.
Letzten Sommer musste er sich
einer großen Herzoperation unterziehen. Die Ärzte tauschten ein
paar Adern im Brustkorb aus. Sie haben ihm nach der OP geraten, schnellstmöglich
seinen Lebensstil zu ändern. Abnehmen. Sich mehr bewegen. Aufhören
zu rauchen.
Er hielt es nur ein paar
Monate durch.
Wir sitzen an einem ovalen
Tisch in einem der Verhörzimmer der Goldjungs. Im Palast der
Staatspolizei an der Skúlagata in Reykjavik. Und warten.
Warten auf was?
Die Goldjungs kennen alle
Tricks, um sich um eine Antwort zu drücken.
Andri Ólafur hat mich
heute gegen neun Uhr abends angerufen. Vor knapp einer Stunde. Als ich
schon so gut wie auf dem Sofa eingeschlafen war.
»Du musst sofort kommen«,
sagte er bedrückt. »Die Polizei hat gerade eine
Hausdurchsuchung bei mir beendet. Sie wollen mich verhören.«
Trotzdem gelingt es Andri
besser als Raggi, den Stress zu kaschieren.
Die Fingerspitzen des feisten
Goldjungen tanzen ungezügelt auf einer grauen Akte, die auf dem Tisch
vor ihm liegt. Knallen im Stakkato auf das harte Plastik. Wie stahlhart
gefrorener Hagel, der manchmal vom Himmel runter das Metalldach meines
Reihenhauses bombardiert. Wenn die Wettergötter wie die Berserker wüten.
Dagfinnur sitzt an seiner
Seite. Der jugendliche süße Goldjunge, der Raggi normalerweise
wie ein Schatten folgt.
Er sitzt mir direkt gegenüber.
Aber konzentriert sich auf seinen geöffneten Laptop.
Ich bin müde und
genervt. Zumal ich einen langen und anstrengenden Tag hinter mir habe. Und
die Schmerzen im Rücken und in den Füßen machen mich
fertig.
»Wie lange müssen
wir hier noch herumhängen?«, frage ich ungeduldig. »Und
auf irgendwas warten, von dem wir nicht wissen dürfen, was es ist?«
Im gleichen Moment wird die Tür
aufgerissen. Ein älterer Goldjunge kommt mit einer durchsichtigen
Plastiktüte herein und reicht sie Raggi.
Raggi nimmt den Beutel. Dreht
ihn eine ganze Weile zwischen den Händen hin und her.
Man kann durch das Plastik
ein großes, unglaublich scharfes Küchenmesser erkennen. Das kräftige
Messerblatt ist lang und an der Spitze ein wenig nach oben gekrümmt.
Der Griff ist schwarz.
Auf der einen Seite des
Messers prangt ein rotes Logo mit zwei tanzenden Strichmännlein.
Die Tatwaffe?
Das Messerblatt ist dreckig.
Daran kleben auch ein paar dunkle Flecken.
Getrocknetes Blut?
Raggi legt die Plastiktüte
neben die graue Akte. Guckt Andri Ólafur an.
»Dann fehlt uns nichts
mehr«, sagt er und beginnt, die gesetzlich vorgeschriebenen Formalitäten
herunterzuleiern. Müde. Wie ein alter Landpfarrer, der schon zum
tausendsten Mal ein leeres Ritual abspult.
Dagfinnur beugt sich vor und
spielt mit allen zehn Fingern auf der Tastatur des Laptops.
Andri Ólafur verdreht
seine Augen, um einen Blick auf das Messer in der Plastiktüte werfen
zu können, verzieht jedoch keine Miene. Aber mir scheint, dass er
erbleicht ist.
Das kann ja wohl kaum etwas
Gutes bedeuten.
»Wir interessieren uns
für alles, was du am Montag der letzten Woche gemacht hast, das heißt,
an dem Tag, der Donald Garbers letzter war«, fährt Raggi fort.
»Du hast ihn an diesem Tag getroffen. Wie kam es zu diesem Treffen?«
»Ich habe es euch schon
zweimal gesagt, ich musste letztes Wochenende etwas in Island erledigen,
und Donald war zur gleichen Zeit auf dem Weg nach Europa, so dass es uns
beiden gut gepasst hat, uns hier zu treffen«, antwortet Andri
Olafur. »Ich bin am Sonntag nach Island geflogen, und Donald kam am
Montagmorgen aus den USA. Wie ihr auch wisst, wollte er im 101-Hótel
an der Hverfisgata übernachten, und da haben wir uns auch am
Montagnachmittag getroffen.«
»Wann genau?«
»Unser Treffen begann
gegen
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