Das letzte Treffen
abzumahnen.«
»Typisch. Erst handeln,
dann denken. Was bedeutet, dass hinter dieser Tat heiße Gefühle
brodeln. Du musst damit rechnen, mitten in einem Vulkanausbruch zu landen.«
Lisa Björk folgt mir in
mein Büro.
»Wie schön für
dich, dass du isländische Kirchenkonflikte von innen kennenlernen
kannst«, sage ich lächelnd. »Die sind oft hinterhältiger
als politische Hinrichtungen.«
»Das überrascht
mich nicht«, antwortet sie trocken.
Irgendetwas in ihrer Miene
macht mich stutzig.
»Hast du schlechte
Erfahrungen mit christlichen Gemeinden gemacht?«, frage ich.
»Das ist vorbei und
abgehakt.«
»Hört sich aber
nicht so an.«
»Darüber möchte
ich nicht reden«, sagt sie entschieden und legt mir ein paar geöffnete
Briefe auf meinen Schreibtisch. »Ich habe alle anderen Aufgaben des
Tages erledigt.«
»Prima. Tschüss
bis morgen früh.«
In den paar Monaten, die Lisa
Björk bei mir gearbeitet hat, hat sie nie über ihr Privatleben
gesprochen. Ihr ganzes Leben scheint sich nur darum zu drehen, Erfolg in
ihrem Beruf zu haben. Was ich gut verstehe. Ich bin ja selbst so.
Aber natürlich hat sie
auch ein Leben außerhalb des Büros. Und eine Vergangenheit. Die
ich nicht kenne. Und die mich nichts angeht.
Ich esse alleine. Für
zwei.
Trotzdem ist es mir gelungen,
meine Gewichtszunahme einigermaßen in Schach zu halten. Mit täglicher
Gymnastik. Und Spaziergängen in der Nachbarschaft.
Ich habe schon längst
aufgehört, mich über die merkwürdigen Marotten meines
Appetits zu wundern. Unerwartete Gelüste auf ausgefallenste
Lebensmittel. Oder süße Dickmacher.
Ich lasse es einfach
geschehen.
Nach dem Abendessen ruhe ich
mich im Wohnzimmer aus. In meinem tiefen Sessel.
Schaufele Rosinen in mich
hinein. Leere das erste Paket von fünfen, die ich auf dem Heimweg
gekauft habe. Dabei gucke ich mir die Nachrichten an, obwohl
ich mit meinen Gedanken ganz woanders bin.
Ein neuer Mord steht heute
Abend an erster Stelle.
Der Nachrichtenpapagei vom
staatlichen Fernsehen steht breitbeinig einen Steinwurf von einem großen
zementierten Fundament entfernt. Im Hintergrund kann man das Flughafengebäude
des internationalen Leifur-Eirikson-Flughafens in Keflavik erkennen.
Die Schwarzjacken haben ihre
bunten Absperrbänder um das ganze Fundament herum angebracht.
»Auf dem Fundament
eines der Häuser, die hier in Rockville abgerissen wurden, nämlich
genau hier, haben zwei Einwohner von Keflavik den Verstorbenen spätnachts
gefunden«, berichtet der Sprecher aufgeregt. »Die Polizei in
Reykjanesbaer hat bereits bestätigt, dass es sich bei der Leiche um
einen Ausländer über sechzig handelt, verwehrt aber weitere Auskünfte,
da die Angehörigen des Verstorbenen noch nicht erreicht werden
konnten.«
Rockville. Felsenstadt.
Spannender Tatort.
Der Nachrichtenpapagei bringt
einen kurzen Abriss zur Geschichte von Rockville. Dort befand sich früher
einer von vielen Radarposten der US Army auf Island. Von dort aus wurden
die Manöver der sowjetischen Bomber in der Nähe von Grönland,
Island und Großbritannien beobachtet und außerdem die Routen
der Atom-U-Boote durch die Passagen zwischen der Norwegischen See und dem
Nordatlantik. Aber diese Aufgabe war kurz vor der Jahrtausendwende
beendet, einige Jahre, nachdem der russische Bär alle viere von sich
gestreckt hatte. Seitdem sind alle Gebäude auf dem Gelände dem
Erdboden gleichgemacht und der Schrott beseitigt worden.
»Einige hundert Leute
wohnten damals in Rockville auf der Midnesheidi hinter einem
undurchdringbaren Drahtzaun«, setzt der junge Presseheini fort.
»Es gab um die hundert Baracken für die amerikanischen
Soldaten, dazu Restaurants, Bars, eine Sporthalle, ein Kino, Geschäfte,
eine Kapelle, ein Postamt und sogar ein kleines Kraftwerk. Alles, was man
zum täglichen Leben brauchte.«
Warum nur sollte man einen
Touristen auf der Midnesheidi töten? An einem der ödesten Plätze,
am Arsch der Welt, in Island?
Der Nachrichtenpapagei hat
keine Antworten parat.
Natürlich nicht.
Ich habe riesige Lust auf
einen dreifachen Jackie Daniels. Das amerikanische Edelwässerchen,
das im Weinschrank auf mich wartet.
Die Flasche glitzert
verlockend durch das eingefärbte Glas.
Aber ich widerstehe ihren
Lockrufen.
Habe an Neujahr beschlossen,
mich bis zum Frühjahr zusammenzureißen. Stark zu sein. Mit dem
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