Das letzte Treffen
seinen scharfen, grauen
Augen.
Pfarrer David ist schon seit
langem in der öffentlichen Diskussion in Island präsent, zumal
es wohl kaum etwas gibt, wozu er keine Meinung verbreitet. Er hat jede
Menge Leserbriefe an die Zeitungen geschickt. Und hat an unzähligen
Diskussionsrunden in Radio und Fernsehen teilgenommen.
Ihm liegt immer viel auf dem
Herzen. Er redet manchmal, als ob er sich von aller Ungerechtigkeit der
Welt persönlich beleidigt fühlte. Oder Gott. Oder beide.
Er äußert sich mit
deutlichen Worten über den Zustand in der Gemeinde.
»Es handelt sich um
einen wirklich schwerwiegenden Fall«, sagt er und fährt sich
mit seinen Fingern immer wieder durch sein graumeliertes Haar, das sich
nicht richtig bändigen lassen will. »Einflussreiche
Gemeindemitglieder intrigieren gegen mich. Mir wurde mitgeteilt, dass die
Gemeinderatsvorsitzende, Hlédís Ásgrímsdóttir,
lange hinter den Kulissen daran gearbeitet hat, mich aus dem Amt zu verdrängen
und mich anzuschwärzen, indem sie alle möglichen
Klatschgeschichten über mich verbreitet hat.«
»Nur sie alleine?«
»Nein, Ásgrímur,
ihr Vater, der mein Küster ist, hat an dieser Intrige mitgewirkt,
ohne mir jemals zu sagen, dass er mit unserer Zusammenarbeit nicht
zufrieden sei. Dieser Judaskuss hat mich völlig unvorbereitet
getroffen.«
»Und wie sieht die Lage
aktuell aus?«, frage ich.
»Hlédís
ist es gelungen, die Mehrheit des Pfarrgemeinderats dazu zu bringen, einen
Brief an den Bischof von Island zu schreiben, in dem gefordert wird, dass
ich innerhalb der Kirche versetzt werde. Die Sitzung des Gemeinderates
wurde gestern Abend ohne mich abgehalten, und erst danach habe ich von
dieser Intrige erfahren. Hlédís' Antrag hat meine alten
Freunde im Gemeinderat völlig überrascht, aber es ist ihnen
nicht gelungen, seine Annahme zu verhindern. Es war ganz eindeutig, dass
die Sache bereits lange vorher von der Mehrheit beschlossen worden war.
Meine Freunde kamen nach der Sitzung zu mir nach Hause und haben mich
über diese unglaubliche Verleumdungskampagne unterrichtet, die Hlédís
im Schutz der Nacht angezettelt hat.«
»Welcher Grund wird im
Brief an den Bischof genannt?«
»Sie behaupten, es sei
zu unüberbrückbaren Differenzen gekommen, die eine konstruktive
Zusammenarbeit nicht mehr gewährleisten«, antwortet Pfarrer
David und schüttelt den Kopf. »Man hat mir gesagt, dass Hlédís
mich auf der Sitzung dafür kritisiert hat, ich würde mich wie
ein Diktator in der Kirche verhalten. Sie zog ein paar lächerliche
Beispiele heran, dass ich mir nicht die Vorschläge von ihr, Asgrimur
oder Oddur, dem Organisten, oder meinem jungen Kollegen, Pfarrer Robert,
angehört habe. Aber das ist natürlich völlig falsch; ich
bin wirklich sehr geduldig und hatte ein offenes Ohr für die Ideen
dieser Leute. Aber wenn es darauf ankommt, ist es selbstverständlich
der Gemeindepfarrer, der entscheidet, wie in der Kirche gearbeitet wird.
Ich bin Gott gegenüber verantwortlich und habe damit die
Entscheidungsgewalt.«
»Hast du vom
Pfarrgemeinderat eine schriftliche Verwarnung erhalten?«
»Nein, es kommt für
mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die Kopie des Briefes, den die
Mehrheit des Gemeinderates an den Bischof geschrieben hat, lag heute
Morgen auf meinem Schreibtisch. Aber weder Hlédís noch der
Gemeinderat, geschweige denn der Bischof, hatten bisher den geringsten
Grund, meine Arbeit während all der fahre, in denen ich Gott und der
Kirche gedient habe, in irgendeiner Form zu kritisieren. Umso
verwerflicher ist diese ungeheuerliche Vorgehensweise.«
»Gib Lisa Björk
alle schriftlichen Dokumente, die diesen Fall betreffen«, sage ich
und stehe auf. »Sie muss sich auch mit deinen Verbündeten im
Gemeinderat treffen, um so genau wie möglich zu erfahren, was auf der
Sitzung gestern Abend gesagt wurde.«
»Heute Abend findet ein
Treffen meiner engsten Vertrauten bei mir zu Hause statt«, antwortet
Pfarrer David. »Sie ist herzlich eingeladen vorbeizukommen.«
»Ich werde da sein«,
sagt Lisa Björk.
Mit der Vereinbarung
verabschieden wir uns vom Gemeindepfarrer.
»Die Mehrheit des
Pfarrgemeinderates scheint sich im öffentlichen Recht nicht besonders
gut auszukennen«, bemerkt Lisa Björk. »Man kann einen
öffentlichen Angestellten nicht einfach seines Amtes entheben, ohne
ihn vorher schriftlich
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