Das letzte Treffen
vermieten.«
»Mein Klient hat es
eilig. Wann kannst du mir die Wohnung zeigen?«
»Ich komme hier nicht
weg, meine Liebe, aber ich kann dir die Schlüssel leihen und den
Mieter im Erdgeschoss bitten, dir behilflich zu sein.«
»In Ordnung.«
Gunnvör wohnt in der Flókagata.
In einem alten Stadtviertel, wo alle Straßen nach den tausend Jahre
alten Sagenhelden der ersten isländischen Krimis benannt sind. Nach
hochgerüsteten Wikingern, die sich damit die Zeit vertrieben haben,
auf jeder dritten Seite ein oder zwei Leute abzumurksen. Oft von Frauen
dazu angehalten, denen übel mitgespielt wurde. Zumal sie immer viel
schlauer waren als die Kerle.
Manches ändert sich auch
in tausend lahren nicht.
Gunnvör bittet mich, in
der Diele zu warten.
»Ich bin schon ziemlich
zerstreut und verlege gerne Sachen«, sagt sie entschuldigend. Und
beginnt, die Treppe hinaufzugehen. »Ich glaube, dass der Schlüsselbund
oben ist.«
Viele Fotos schmücken
die Wand im Flur. Porträts. Die meisten von Gunnvör in
verschiedenen Rollen.
Manche Verkleidungen wirken
ganz einfach. Eine Perücke und eine veränderte Maske ist das
Einzige, was man braucht, um eine neue Person zu erschaffen.
Andere sind schon aufwändiger.
Große Hüte. Teurer
Schmuck, der auf den ersten Blick echt aussieht. Aber natürlich gefälscht
ist.
Gunnvör war in jüngeren
Jahren eine Sexbombe. Bevor das Alter die Regie übernahm. Farbe und
Energie aus dem Haar gesaugt hat. Die frische Röte aus dem Gesicht.
Und die Kraft aus dem schlanken Körper.
Das Alter benimmt sich immer
wie ein teuflischer Vampir.
Gunnvör kommt langsam
wieder die Treppe herunter. Hält sich am braunen Geländer fest.
»Ich habe den Schlüsselbund
nicht gefunden, meine Liebe«, sagt sie außer Atem, »aber
ich glaube, dass diese Schlüssel auch in der Sudurgata passen.«
Sie reicht mir einen
Stahlring mit sieben Schlüsseln. Ihre Hand zittert.
»Bist du krank?«,
frage ich.
»Ja, mein Kind,
Parkinson plagt mich schon seit ein paar Jahren. Deshalb musste ich auch
im Theater aufhören.«
»Wie ich sehe, hast du
viele gutaussehende Frauen gespielt.«
Sie geht die Diele entlang.
Zeigt mit zitterndem Finger auf ein großes Foto, das direkt neben
der Eingangstür hängt.
»Diese liebe ich von
allen meinen Rollen am meisten«, sagt sie.
»Warum?«
»La Dame aux Camélias!«,
antwortet sie. Und bewegt den zitternden Arm mit theatralischer Geste auf
das Foto zu. »Die Kameliendame ist eine wunderbare Rolle! Sie hat
alles für ihren jungen Liebhaber aufgegeben.«
»Aha.«
»Es war auch das
einzige Mal, dass Jakob mit mir auf der Bühne stand. Mein lieber
Junge war ein wirklich bezaubernder Armand.«
»Armand?«
»Armand ist der junge
Liebhaber, für den Marguerite alles opfert. Die ganze Theatertruppe
war begeistert, dass Jakob und ich zusammen spielen durften. Ein Foto von
Armand hängt ein Stück weiter.«
Ich drehe mich um. Gehe zurück
zur Treppe.
Das Foto ist von einer Art
italienischem Valentino. Oder Romeo. Glatte schwarze Haare.
Dunkle, herausfordernde Augen. Südländische Hautfarbe.
Sexy Knabe!
»Mein lieber Junge! Er
hat Theaterspielen gelernt, um mir ähnlich zu sein«, sagt Gunnvör.
»Hier ist ein anderes Bild von ihm.«
Wow!
Der süße Kerl
sieht noch besser aus, wenn er sich als Frau verkleidet.
Blonde Haare bis auf die
Schultern. Dunkler Lidschatten um die himmelblauen Augen. Feuerrote Lippen
versprechen einen brennend heißen Kuss.
Gunnvör bemerkt, dass
ich von dem Foto begeistert bin.
»Ja«, sagt sie lächelnd,
»Mein lieber Junge konnte auch so eine gutaussehende Frau sein.«
42. KAPITEL
Mittwoch
Lisa Björk kommt gegen
Mittag zu mir hereingestürmt.
»Hlédís
Ásgrímsdóttir ist als Vorsitzende des
Pfarrgemeinderates zurückgetreten«, sagt sie außer Atem.
»Warum?«
»Gestern gab es eine
peinliche Szene im Gemeindehaus.«
»Erzähl!«
»Pfarrer David sagt,
dass Hlédís' Mann und der junge Pfarrer aneinandergeraten
sind, und am Ende ihres Streits ging Pfarrer Robert zu Boden.«
»Willst du damit sagen,
das Rattengesicht hat den Pfarrer verprügelt?«
»Das habe ich so
verstanden.«
»In einem
Eifersuchtsanfall?«
Lisa Björk zuckt mit den
Schultern.
Es dauert eine Weile, bis ich
diese unerwartete Neuigkeit verdaut habe. Wahrscheinlich kann man das als
Bestätigung dafür auffassen,
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