Das letzte Treffen
oder hinauszukommen, aber sie könnten natürlich
noch einen anderen Ausgang gehabt haben, ohne dass ich davon wusste.«
Ich drücke meinen hellen
Pelzmantel enger an meine Brust.
Aber ich kann damit nur sehr
kurz den Kälteschauer abschütteln, der diesem einsamen Ort
folgt. Ebenfalls nicht die unheimliche Atmosphäre, die wie ein
bleierner Alptraum über der alten Base liegt.
Zumal mir im Moment nur eins
im Kopf herumspukt: Ist die Leiche des kleinen Kalli unter unseren Füßen
versteckt? Unter dem grauen Beton?
Oh Mann!
Ich angle mein Handy aus der
Manteltasche. Rufe Maria an.
»Mama geht es ganz
schlecht«, sagt sie. »Ich bleibe heute Nacht bei ihr.«
»Bestell ihr schöne
Grüße.«
Wir gehen zurück zum
Parkplatz. Bleiben an einem großen Fundament stehen, das immer noch
mit den bunten Absperrbändern der Schwarzjacken markiert ist.
»Da war ihr Klub«,
sagt Kjartan.
Einige dunkle Flecken auf dem
Beton sind die einzigen sichtbaren Spuren des Mordes und der
Misshandlungen an dem ehemaligen amerikanischen Soldaten.
Kjartans und meine Wege
trennen sich.
Ich rausche zurück auf
die Landstraße zwischen Sandgerdi und Keflavik. Fahre schnell am
internationalen Flughafen Leifur Eiriksson vorbei. Dem Tor zur Welt.
Nehme die erste Ausfahrt nach
links, nach Kellavik hinein.
Grettir spielt auf dem
Grundstück des alten Hauses an der Sudurgata Fußball.
»Kommst du uns
besuchen?«, fragt er eifrig.
»Bist du immer so
neugierig?«
»Ist es verboten zu
fragen?«
»Ich möchte die
Wohnung im ersten Stock angucken.«
»Darf ich mit?«
»Wenn du unbedingt
willst.«
Am östlichen Ende des
Hauses ist ein heruntergekommenes Treppenhaus.
Ich trete mir auf der Fußmatte
in der Diele die Nässe von den rotbraunen Lederstiefeln. Bevor ich
die Treppe hochgehe.
Bei jedem Schritt knarrt es
im alten Holz.
Der dritte Schlüssel von
Gunnvörs Schlüsselbund passt ins Schloss der mittleren Etage.
Ich sehe mir schnell die
Wohnung an.
Das Wohnzimmer und das
Schlafzimmer nehmen den meisten Platz ein. Das Badezimmer ist winzig. Die
Küche fast nur eine enge Zeile.
Hier gibt es keine Möbel.
Außer dem Doppelbett im Schlafzimmer. Aber ich finde es zu dreckig,
um mich darauf zu setzen.
Grettir folgt mir zurück
ins Wohnzimmer.
»Hier kann man auch
kein Feuer machen«, sagt er und klopft lose an den Rauchfang, der
vom Erdgeschoss bis aufs Dach reicht.
»Bist du ein
Feuerteufel?«
»Was ist das?«
»Jungen, die Spaß
dran haben, etwas abzufackeln.«
»Neeeiiin«,
antwortet Grettir und schüttelt den roten Schopf.
»Wahrscheinlich war
hier ein Kamin, als das Haus gebaut wurde«, sage ich. »Aber es
ist ziemlich dumm, lodernde Feuer in alten Holzhäusern zu schüren.
Sie können in null Komma nichts in Rauch aufgehen.«
Wieder schaue ich mich um.
Enttäuscht.
Die Wohnung hat nichts
Besonderes. Sie ist nur alt. Verwohnt. Hässlich. Alltägliche
Armseligkeit des unausweichlichen Alterns.
Was hatte ich eigentlich
erwartet? Dass die Wände vom strengen Geruch alter Sünden längst
toter Eigentümer durchdrungen seien?
Verdammte Einfältigkeit.
Während ich die Tür
ins Schloss ziehe, gucke ich die Treppe hoch.
»Geir hat uns zu sich
eingeladen. Unters Dach.«
Hat Maria gesagt.
Ich betrete die knarrende
Treppe. Halte mich an dem wackelnden Geländer fest. Hieve mich
Schritt für Schritt hoch.
Die Tür ist
abgeschlossen.
Der letzte Schlüssel am
Bund passt ins Schloss.
Der siebte.
43. KAPITEL
Ein schwacher Blumenduft schlägt
mir entgegen.
Ansonsten ist es in der
Wohnung trocken und stickig. Als ob die kleinen Fenster im Dachgeschoss
nie geöffnet würden.
Die Blumen glänzen in
der Abenddämmerung. Sie stehen in einer dunkelgrünen Vase auf
einem alten braunen Schreibtisch. Unter einem Fenster in der Dachschräge.
Rote Rosen.
»Hallo!«, rufe
ich. »Ist jemand zu Hause?«
Keine Antwort.
Ich knipse die Lampen an, die
vom steilen Giebel herunterhängen. Schaue mich in einer Art
Wohnzimmer um, das den überwiegenden Teil der Dachwohnung auszumachen
scheint.
Auf dem Fußboden liegt
ein bunter Teppich mit südamerikanischem Muster. Ein altes
dreisitziges Sofa mit einem hellen Blumenbezug. Zwei dazu passende Sessel.
Nur mit höheren Lehnen.
Ein schwarzer Laptop steht
auf dem braunen Schreibtisch. Auch ein Scanner. Ein kleiner Drucker. Ein
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