Das letzte Treffen
sollte Baldvin nur deshalb nicht verbieten, sich seiner Frau zu nähern,
weil sein Papa ein frecher und reicher Bonze ist?«, frage ich mit
Nachdruck.
»Nein. Du willst mich
missverstehen«, antwortet Haraldur und legt den Kopf hochmütig
in den Nacken. »Ich weise dich nur darauf hin, dass ich es für
möglich halte, die Sache innerhalb der Familie zu lösen.«
»Ganz im Gegenteil
weist Baldvins Auftreten während der letzten Abende und Nächte
darauf hin, wie sehr ihm gewaltsame Übergriffe im Blut liegen«,
antworte ich. »Es ist doch völlig klar, dass Sigurjóna
sich erst traut, das Frauenhaus mit den Kindern zu verlassen, wenn einer
Unterlassungsklage stattgegeben wurde. Sie hat selbstverständlich das
Recht, vom Rechtssystem geschützt zu werden.«
Haraldur rümpft die
Nase. Ganz eindeutig unzufrieden mit meiner Darlegung.
»Ich möchte diesen
rechtmäßigen Antrag meiner Klientin nochmals ausdrücklich
unterstreichen«, wiederhole ich.
»Na ja gut, wir
besprechen den Fall heute und treffen gegen Abend eine Entscheidung«,
antwortet er trocken. Aber vergisst völlig, mir seine schönen Zähne
zu zeigen. Passiert ihm sonst wohl nie.
Uff!
Natürlich ist das nicht
das erste Mal, dass Schwarzjacken und Goldjungs einen Rückzieher
machen, wenn irgendwo einflussreiche Machtmenschen im Bild auftauchen. Das
ist eher die Regel als die Ausnahme.
Alle sollen vor Gericht
gleich sein.
Immer wieder ist es deshalb
so verdammt hart, überall an die Orwell'sche Realität zu stoßen,
dass manche gleicher sind als andere.
Immer wieder geht mir das
tierisch auf die Nerven.
Ich rufe Sigurjóna an,
um ihr vom Gang der Dinge zu berichten. Und bestärke sie, die Dickköpfigkeit
und Unverschämtheiten ihres Ehemanns nicht weiter zu beachten.
»Mama hat angeboten,
sich ein oder zwei Wochen von ihrer Arbeit freizunehmen, um auf die Kinder
aufzupassen«, erzählt sie.
»Bei dir sind sie viel
sicherer«, antworte ich.
»Ja, aber sie finden es
so langweilig, jeden Tag am gleichen Ort eingeschlossen zu sein.«
»Aber ist es nicht
wahrscheinlich, dass Baldvin die Kinder zu sich holt, wenn sie sich in
Grindavik aufhalten?«
»Ja, das wäre ihm
zuzutrauen.«
»Dann ist es wohl
besser für sie, noch ein paar Tage durchzuhalten, oder?«
»Doch, wahrscheinlich.«
»Wenn wir den Antrag
durchkriegen, dass Baldvin sich euch nicht nähern darf, kannst du
selber mit den Kinder nach Grindavik fahren und dort mit ihnen einige Zeit
bleiben, wenn du willst.«
»Ja, da hast du recht.«
Ich fahre beim Hótel
Borg vorbei. Werfe einen Blick in das halb leere Restaurant im
Erdgeschoss. Setze mich an einen Fensterplatz, von wo aus ich das
Parlament und den davor liegenden Platz Austurvöllur beobachten kann.
Der Zweitwohnsitz der Politiker. Den die Scherzkekse das teuerste
Schauspielhaus der Nation nennen.
Genehmige mir einen bitteren
Espresso. Und heiße Waffeln mit Blaubeermarmelade und Schlagsahne.
Das ist schon in Ordnung.
Sage ich zu mir selbst.
Ich esse ja immer noch für
zwei.
Blättere dabei die
Zeitungen durch. Lese die neuesten Berichte über den Leichenfund in
Rockville.
Die Goldjungs haben den Namen
des Opfers genannt.
Der Verstorbene hieß
Donald Garber. Er war fünfundfünfzig Jahre alt. Bürger der
Vereinigten Staaten. Gemeldet in Los Angeles.
Stadt der Engel.
Es wird berichtet, dass
Donald in den Jahren 1973-1974 als Soldat auf der Base stationiert war.
Hat in der Radarstation gearbeitet, die die US Army in Rockville betrieben
hat. Aber nach knapp einem Jahr beim Militär in Island hat er der
Army den Rücken gekehrt und ist nach Kalifornien gezogen, wo er in den letzten Jahrzehnten
einige Firmen gegründet hat.
Ist es nicht merkwürdig,
einen ehemaligen amerikanischen Soldaten in der alten Kaserne zu ermorden,
ausgerechnet jetzt, wo das Heer gerade mit Kind und Kegel die Base und das
Land verlässt? Nachdem sie mehr als fünfzig Jahre den Flughafen
in Keflavik besetzt hatten.
Gibt es da einen
Zusammenhang?
Als ich mir gerade den Rest
des Artikels und der Waffel einverleiben möchte, stört mich mein
Handy.
Es ist Máki.
Der alte Nachrichtengeier ist
zur Zeit sein eigener Herr. Wurde arbeitslos, als die DV nicht mehr als
Tageszeitung erschien. Schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre.
Máki war natürlich
klar, dass keine andere Zeitung ihm derart freie Hand geben würde, um
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