Das Leuchten der Insel
Aufzucht von Alpakas begonnen, weil Fiona ihr eigenes Handarbeitsgeschäft haben wollte mit Sachen, die sie aus der Wolle strickte. Aber nach ein paar Jahren verlor sie das Interesse am Waschsalon und übergab die Arbeit Frances Calvert, der Postamtsvorsteherin. Das Strickprojekt hatte sie schon ein paar Monate nachdem sie damit begonnen hatte wieder aufgegeben, und zwei Jahre später liefen die Alpakas noch immer auf der Wiese herum und fraßen haufenweise gutes Gras, das man an die Ziegen hätte verfüttern können, die wenigstens Milch gaben.
Jetzt hatte Fiona mit einem Importgeschäft begonnen, das mit Yoga, Yogamatten und Yogakleidung zu tun hatte und dem Betty keinerlei Sinn abgewinnen konnte, weil die Amerikaner inzwischen seit gut dreißig Jahren wild auf Yoga waren, weshalb Fiona mit ihrem Yogazeug einem alten Trend hinterherlief. Trotzdem war Fiona davon überzeugt, dass sich ihr Unternehmen durch die Qualität ihrer Yogamatten und Augenkissen von anderen absetzen und ein wenig Geld, das sie dringend für die High School und das College der Jungen benötigten, einbringen würde.
Fionas Geschäftstätigkeit erforderte, dass sie die Insel häufig verließ – für Reisen nach Seattle und Vancouver, wo sie Yoga- und Fitnessstudios besuchte, und jetzt war sie auf dieser langen Reise in Indien. Betty wusste, dass es zwischen ihrem Sohn und seiner Frau Spannungen gab, aber sie schwieg dazu. Sie kannte auch die Art von Sehnsüchten, die Frauen in der Lebensmitte befielen, wenn die Kinder großgezogen waren und erwachsen wurden und einen mit einer merkwürdigen Art von Freiheit und einer schwer zu füllenden Leere zurückließen. All das Geschwätz über Männer in der Midlife-Crisis. Betty verzog den Mund. Nach ihrer Erfahrung waren die Frauen diejenigen, die diese mittleren Jahre als besonders irritierend empfanden und am ehesten zu grundlegenden Veränderungen bereit waren. Aber andererseits, was wusste sie schon? Sicher, sie hatte in ihren Vierzigern einige wilde Dinge gemacht, aber Bill war schließlich auch zwei Monate nach ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag gestorben. Wer wäre unter solchen Umständen nicht ein wenig verrückt geworden?
»Warum hat sie deiner Meinung nach ihren Mann zurückgelassen?«, fragte Jim.
Betty, die gerade an die abwesende Fiona dachte, schreckte hoch. »Wer?«
»Susannah. Ich weiß nicht – ich kann es mir nur schwer vorstellen, dass Fiona wegfährt und die Kinder für neun Monate mitnimmt. Es ist hart genug, wenn sie zwei Monate fort ist, so wie jetzt.«
»Rätsel nur weiter. Es ist unmöglich, von außen zu ergründen, was in einer Ehe zwischen zwei Menschen vor sich geht«, erwiderte Betty. Das wusste sie natürlich besser als jeder andere.
Ihre eigene Ehe war, gelinde gesagt, unorthodox gewesen. Sie hatte Bill kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag und ihrem Highschoolabschluss kennengelernt. Er war ihr erster Freund gewesen. Sie hatte zahlreiche Freunde und Freundinnen, weil sie sportlich war und gern lachte und die Partytricks hervorragend beherrschte. Beispielsweise konnte sie Zigarettenrauch jederzeit in perfekt runden Kringeln ausblasen. Aber sie hatte überlange Beine, wirkte kantig und hatte krauses Haar. Ihre Schwester Bobbie hingegen war eine Schönheit, mit seidigem kastanienbraunem Haar und blauen Augen. Bei ihr standen die Verehrer Schlange, führten sie in angesagte Restaurants zum Essen aus und schrieben ihr kitschige Gedichte. Und ihre Schwester Mel hatte weit auseinanderstehende dunkle Augen und braunes Haar, was ihr ein exotisches Aussehen verlieh, das die Männer ungeachtet Mels mürrischer Art faszinierte. Die Jungs, die mit Bobbie oder Mel oder ihrem Bruder Jimmy ins Haus kamen, zogen Betty wegen ihrer krausen Haare auf, erzählten ihr schlüpfrige Witze oder wetteten, wie weit sie einen Baseball werfen konnte. Für die Jungs war sie nur die kleine Schwester.
Aber dann brachte Bobbie eines Tages Bill Pavalak mit nach Hause, einen ehemaligen Sergeant der Luftwaffe, der mit Bobbies derzeitigem Verehrer Dick Hudgens befreundet war. Bill hatte dunkelbraunes Haar, grüne Augen und die weißesten Zähne, die sie je gesehen hatte, und zwischen seinen beiden Vorderzähnen klaffte eine Lücke, die jedoch nicht so breit war, dass er wie eine Comicfigur aussah. Er trug eine lederne Bomberjacke und eine Khakihose und musterte sie so aufmerksam, als sie einander vorgestellt wurden, dass sich tief in ihrem Bauch etwas rührte und sie spürte, wie sie
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