Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
Aber wenn Mangroven da sind, passiert das nicht, weil sie so ein ausgezeichnetes Filtersystem haben – sie können das Salz nämlich über ihre Luftwurzeln und ihre Blätter ausscheiden. Wie Wüstenpflanzen speichern sie Wasser in ihren Blättern. Falls ihr also einmal im Mangrovenwald strandet und Frischwasser braucht, wisst ihr, wo ihr suchen müsst.« Aidi lachte.
»Wenn es so unsinnig ist, Mangroven abzuholzen, warum wird es dann überhaupt gemacht?«, fragte Julie.
»Das Land wird oft für Ölpalmen und Shrimpsfarmen genutzt. Aquakulturen liegen schwer im Trend, aber Shrimpsfarmen sind eine Katastrophe. Kaum eine wird anständig geführt. Wenn es Probleme gibt, wird sie einfach geschlossen und sofort die nächste angelegt, statt der Natur die Chance zu geben, sich zu erholen. Auch ökonomisch gesehen ist es Unsinn, weil eine Shrimpsfarm nur ein paar Leute beschäftigt, aber dafür mehrere hundert Familien nicht mehr vom Fischfang leben können.«
»Es ist eine Schande, dass der Wert solcher Gebiete dermaßen unterschätzt wird«, sagte Julie. »Diese Mangrovenbäume sind wie Skulpturen. Die Muster, die verwobenen Wurzeln, dieses unglaubliche Labyrinth – einfach einzigartig.«
»Alles, was ihr seht, dient einem Zweck – die senkrechte Ausrichtung der Blätter, um die Mittagssonne zu vermeiden, die porösen Wurzeln, Atemwurzeln, wie sie sich entwickelt haben, um zu überleben … für mich ist das alles wahre Schönheit«, sagte Aidi.
Als sie sich einem Schlickwatt näherten, hielt Jan an. Sie beugten sich über die Seite, um die seltsamen Schlammspringer zu beobachten, die über die silbrig graue Fläche hüpften.
»Schaut mal, diese Krebse da mit den leuchtend roten, blauen und weißen Scheren. Sie fuchteln damit herum, als würden sie zu einer für uns unhörbaren Musik tanzen«, meinte Christopher lachend.
»Ich wüsste gern, wo sie ihre Energie hernehmen, die könnte ich auch gebrauchen«, stimmte ihm Aidi zu.
»Es muss an dem vielen Sauerstoff hier liegen«, erwiderte Christopher. »Der richtige Ort, um sich von einem Kater zu erholen!«
Julie konnte nicht glauben, dass sie zwei Stunden im Mangrovenwald verbracht hatten. »Hättest du gedacht, dass es Spaß macht, dauernd, über einen Bootsrand gebeugt, seltsame Kreaturen zu beobachten, die im Schlamm herumkriechen?«, sagte sie zu Christopher.
Aidi lachte. »Die Leute von der Feriensiedlung haben auch nicht geglaubt, dass Touristen für so etwas Geld bezahlen! Aber sie tun’s. Jetzt fahren wir weiter zum Sandsteinkarst, durch die Höhlen und zu den Seeadlern.«
In der stillen Bucht, umgeben von fernen dunklen Bergen, glitten sie gemächlich dahin. Ein anderes kleines Touristenboot zog neben ihnen mit aufheulendem Motor vorbei. Dann wurde der Motor ausgeschaltet, und plötzlich jagten große Vögel über das Boot hinweg.
Aidi deutete zum Himmel. »Das sind Brahminenweihen. Und da drüben kommen die Weißbauchseeadler.«
Es war ein großartiger Anblick. Alle beobachteten gebannt, wie die anmutigen mächtigen Vögel ihre Kreise zogen und nach den Hühnchenteilen schnappten, die ihnen von dem Touristenboot aus zugeworfen wurden.
»Das ist ja ein Ding«, staunte Julie. »Wie hat denn dieses Fütterungsspektakel angefangen?«
»Ach, das ist auch so eine Geschichte«, sagte Aidi. »Vor ein paar Jahren gab es hier eine Holzkohlenfabrik, die Mangroven abholzte. Sie haben so viele Bäume gefällt, dass die Wattinseln instabil wurden. Das Wasser wurde sehr schlammig, und damit ging der Fischbestand zurück, also mussten die Vögel sich ihr Mittagessen anderswo suchen. Sie verlagerten sich auf den Flughafen, weil dort das Gras regelmäßig gemäht wird und die bodenbewohnenden Tiere für die Vögel leicht auszumachen sind. Allerdings ist mit Vögeln und Flugzeugen auf begrenztem Raum die Katastrophe vorprogrammiert. Wir haben rund achtzig Prozent der Seeadlerpopulation und drei Flugzeuge verloren. Also wurde die Holzkohlenfabrik geschlossen und mit der Vogelfütterung begonnen, um die Seeadler vom Flughafen wegzulocken. Wie Sie sehen, war das Programm ein voller Erfolg, und jetzt haben wir fast so viele Vögel wie zuvor.«
»Wir sollten Mutter Natur die Dinge regeln lassen«, meinte Julie.
»Die Menschen können nicht anders, sie müssen sich einmischen«, sagte Christopher. »Aidi, glaubst du, der Tourismus wird diese Insel zerstören?«
»Ein ungebremster Tourismus sicherlich, aber wenn er gut organisiert wird, kann er der Region helfen,
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