Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
nach Singapur bringen. Gilbert, der dort die Warenlager seiner Firma verwaltete, würde dann dafür sorgen, dass wir das nächste Schiff nach Australien bestiegen.«
»Wurden nicht auch Passagierschiffe versenkt?«, fragte Caroline.
»Ja«, sagte Bette. »Aber das wussten wir damals nicht. Und es gab so viele Gerüchte.« Sie nahm einen Schluck Tee. »Wir hatten geplant, gleich früh am nächsten Morgen aufzubrechen. Aber nachdem meine Schwester gehört hatte, was der Pflanzerfamilie widerfahren war, bestand sie darauf, so viele Wertsachen mitzunehmen wie möglich.«
»Du meinst Schmuck? Privates?«, fragte Julie.
»Roland und ich konnten sie überreden, einige unersetzliche Gegenstände zu vergraben. Aber sie nahm sämtliches verfügbare Bargeld und alle Kleider mit. Ich packte auch all meine Sachen ein, aber ich hatte ja nicht viel, weil ich nur auf Besuch war. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was Margaret alles in dieses Auto gestopft hat – es war so voll, dass wir kaum noch Platz hatten. Sogar Hutschachteln hatte sie eingeladen. Philip und ich hockten auf dem Rücksitz des Oldsmobile auf Taschen, als wir endlich aufbrachen.«
»Diese Fahrt muss ja beängstigend gewesen sein. Ich habe Rolands Erinnerungen gelesen«, sagte Julie.
»Ja, es war wirklich schreckenerregend. Die Straßen waren verstopft, weil alle auf dem Weg nach Süden noch die Straße von Johor überqueren wollten, bevor die Japaner den Damm blockierten oder sprengten. Auf dem Weg nach Singapur kamen wir an brennenden Autos und Häusern vorbei, Menschen flohen auf Fahrrädern oder zu Fuß mit dem, was sie tragen konnten. Manche rannten einfach blindlings drauflos, ohne zu wissen, wo sie Schutz finden sollten. Das Schlimmste war der Anblick der Toten und Sterbenden am Straßenrand. Wir sahen verstümmelte Leichen in den Trümmern eines Busses, den eine Bombe getroffen hatte. Da war ein Kind, ungefähr so alt wie Philip, und wir konnten nicht verhindern, dass er den Körper ohne Kopf auf der Straße liegen sah. Überall war Rauch, und es stank furchtbar. Philip auf der Rückbank klammerte sich an mich, und Margaret erteilte Hamid panische Befehle, aber er war großartig und blieb ganz ruhig. Als eine Gruppe die Straße versperrte und auf den Wagen einhämmerte, wusste ich nicht, ob sie mitfahren oder uns warnen wollten oder ob sie einfach Angst hatten. Margaret schrie die Leute durchs Fenster an, und Philip weinte, aber Hamid fuhr einfach im Schritttempo weiter. Plötzlich gab er Gas und fuhr auf den Gehweg, so dass die Menschen auseinanderstoben. Ich glaube, er hätte sie überfahren, wenn sie nicht ausgewichen wären.«
»Wie schrecklich«, murmelte Caroline.
»Als wir bei Gilbert ankamen, der in einem besseren Viertel am Stadtrand wohnte, war der Himmel seltsam gelb-orange gefärbt«, fuhr Bette fort. »Überglücklich, aus dem Auto herauszukommen, rannten wir in sein Haus. Flüchtlinge zogen schreiend durch die Straßen, und da Margaret fürchtete, das Gepäck könnte gestohlen werden, befahl sie Hamid und Gilberts Hausdiener, den Wagen auszuladen und alles über Nacht drinnen zu verstauen. Ich hielt den völlig verängstigten Philip im Arm.
Gilbert erklärte, dass wir am nächsten Morgen zusammen in die Stadt fahren müssten, um Tickets für eins der Schiffe nach Singapur zu bekommen. Auf dem Weg ins Zentrum sahen wir, dass Teile von Chinatown und viele Häuser zerbombt waren. Es waren auch viele australische Soldaten unterwegs, die guter Dinge schienen. Sie wussten nicht, dass sie bereits wenige Tage später als Kriegsgefangene in Changi landen würden.
Dank seiner Kontakte in der Frachtschifffahrt gelang es Gilbert, Tickets für ein Schiff zu ergattern, das am nächsten Tag nach Perth aufbrechen sollte. Nach dem Abendessen versuchten wir zu schlafen, aber nun begannen schwere Bombenangriffe. Wir kauerten uns unter den Esszimmertisch. Manchmal hörte es sich so an, als würden die Bomben direkt neben uns einschlagen.«
»Und was geschah am nächsten Tag?«, fragte Julie.
»Wir befanden uns in einem anderen Land – einem Land im Kriegszustand. Als es hell wurde, stellten wir fest, dass Gilberts Haus unversehrt war, nicht aber das Oldsmobile, das auf der Straße geparkt hatte. Es war völlig ausgebrannt. Margaret erklärte immer wieder, was für ein Glück es doch sei, dass sie darauf bestanden habe, alles auszuladen.
Den ganzen Vormittag setzten die Japaner ihre Bombenangriffe fort, in der Stadt und auf den Hafenanlagen
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