Das Leuchten der Orchideen: Roman (German Edition)
dass es in Kuala Lumpur zu Unruhen gekommen sei.
»Was genau ist passiert, James?«, fragte Bette.
»Anscheinend haben einige Inder und Chinesen am Sonntagnachmittag die Wahlergebnisse mit einer Parade durch ein malaiisches Wohnviertel gefeiert. Dabei trugen sie Besen, offenbar um anzudeuten, dass sie die Malaien wegfegen werden.«
»Das war sehr dumm«, sagte Bette.
»Und gefährlich. Danach gab es malaiische Übergriffe gegen Chinesen und Inder. Und nun hat sich die Gewalt in der ganzen Stadt ausgebreitet.«
Bette war sofort aufs höchste alarmiert. »Weißt du, wo Tony steckt? Ich hoffe, er ist in seinem Hotel in Sicherheit.«
»Ich habe mit Freunden in Kuala Lumpur gesprochen, aber noch nichts herausgefunden. Es kursieren Gerüchte, dass der Gewaltausbruch ganz und gar nicht spontan gewesen sei. Einige junge Malaien, viele von auswärts, sollen, mit Messern, Speeren und Parangs bewaffnet, durch die Stadt ziehen, um den Chinesen ›eine Lektion zu erteilen‹. Außerdem soll es eine antichinesische Demonstration geben – als ob man nicht gerade jetzt jede Provokation vermeiden sollte! Sogar die Polizei hat Einspruch gegen dieses törichte Vorhaben erhoben, aber der Ministerpräsident will seine Einwilligung dazu geben. Bestimmt bleibt Vater einfach im Hotel und wartet in Ruhe ab, bis sich die Wogen geglättet haben und die Leute zur Vernunft gekommen sind.«
Bette lief im Rose Mansion auf und ab und wartete auf Nachrichten von Tony.
Doch was sie hörte, beunruhigte sie noch mehr. Bei der Demonstration hatte es Ausschreitungen gegeben. Autos und Gebäude wurden in Brand gesteckt, und die malaiische Polizei feuerte wahllos in chinesische Wohnhäuser und Geschäfte. Überall in der Stadt machte man Jagd auf Chinesen, obgleich auch viele, wie sie später erfuhr, von Freunden versteckt worden waren. Man plünderte ihre Häuser und brannte sie nieder, und viele wurden brutal ermordet. Die Stadt versank im Chaos.
Am Morgen des 14. Mai, einem Mittwoch, lag Bette mit bleischweren Gliedern in ihrem Himmelbett, als die Glocke am Tor klingelte. Sie zwang sich aufzustehen, kämmte sich gefasst das Haar, zog sich den seidenen Morgenmantel mit dem Blumendruck über und schlüpfte in ihre perlenbesetzten Pantoffeln, bevor sie langsam – eine Stufe nach der anderen – die Treppe hinunterging. Wie aus weiter Ferne hörte sie Diener hin und her eilen, Stimmengewirr und das Geräusch eines Motors in der Auffahrt.
Es war Madam Changs langgezogener schriller Schrei, der Bette aus ihrer Trance riss. Sie rannte in die Eingangshalle, wo ein Polizeikommissar an der Tür stand und mit James sprach. Sein Gesicht verriet ihr, was sie im Herzen bereits wusste.
Laut Polizeibericht war Tony von marodierenden Jugendlichen erschossen worden, als er ins Auto stieg, um zu ihr nach Hause zu fahren. Inzwischen war die Armee in Kuala Lumpur einmarschiert, berichtete der Kommissar, und in Kürze werde der Notstand ausgerufen und eine Ausgangssperre verhängt. Doch für Tony kamen diese Maßnahmen zu spät. Mit geschlossenen Augen, kalkweißem Gesicht und geballten Fäusten hörte Bette ihm zu.
»Wo ist mein Mann?«
»Im Krankenhaus, Mrs. Tsang.«
»Bitte veranlassen Sie, dass er nach Hause gebracht werden kann.« Voller Schmerz sah sie James an, der schweigend nickte. Er würde seinen Vater heimbringen, denn jetzt war er das älteste männliche Familienmitglied.
Als Bette verstummte, herrschte in dem hellen Zimmer eine ganze Weile völlige Stille. Schließlich fasste sich Julie ein Herz. »Danke, Bette, dass du uns das alles erzählt hast. Welch eine Tragödie! Offensichtlich habt ihr euch sehr geliebt.«
Mit feuchten Augen wandte sich Bette ihrer Großnichte zu. »Ich liebe ihn immer noch. Ich spüre ihn jeden Tag an meiner Seite.« Dann straffte sie sich und lächelte. »Das ist also meine Geschichte. Natürlich hat das Leben für mich nach Tonys Tod nicht aufgehört, obwohl ich das damals so empfand. Ich blieb im Rose Mansion, half den Kindern, und nach dem Tod von Madam Chang übernahm ich die Haushaltsführung.«
»Wie ist es dann zu dem Buch gekommen, das du über die Iban geschrieben hast?«, fragte Julie.
»Nach unserer Rückkehr aus Sarawak ließen mich die Orang-Utans und die Iban nicht mehr los. Orang-Utans sind ganz bemerkenswerte Tiere, aber die Iban waren Menschen, mit denen ich reden konnte und über deren Lebensweise ich mehr erfahren wollte. Dank Tom Harrisson, durch den ich Leonard und sein Dorf
Weitere Kostenlose Bücher