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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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trinken, musste einigermaßen bei Kräften bleiben.
    Allmählich sollte er
    sich Gedanken machen, was er tun könnte, wenn Paul und Hassan bis zum Abend
    nicht zurück wären. Sie hatten hier kein Pferd mehr. Er müsste zu Fuß über den
    Berg und auf der anderen Seite wieder hinunter, zu der Wasserstelle, von der
    Hassan berichtet hatte. Vielleicht war den beiden etwas passiert, und sie
    konnten nicht zurück. Vielleicht waren sie verletzt. Aber dann könnten sie sich
    doch auf ein Pferd oder ein Kamel setzten und reiten.
    Ein schrecklicher
    Gedanke schoss in seinen Kopf ... und wenn es da unten keine Wasserstelle gab?
    Wenn sie auch vergiftet oder ausgetrocknet war und Hassan und Paul weiter zur
    nächsten ziehen mussten? Wie lange würde es dann dauern, bis sie zurückkämen?
    Hatte Paul denn vergessen, dass sie nur einen kleinen Wasservorrat
    zurückgelassen hatten? Und dann drängte sich ein anderer fürchterlicher Gedanke
    in seinen Kopf. Konnte Paul das beabsichtigt haben? Wollte er ihn, John, und
    Emma leiden lassen? Wollte er sie bestrafen? Jesus Christus, betete er, bitte
    bewahre mich vor solch bösen Gedanken.
    Er setzte sich in den
    Sand und schlug wieder die Bibel auf. Darin fand er Trost in seiner
    Ratlosigkeit und Verzweiflung. Eine Stelle las er mehrmals: „Bittet, und
    es wird euch gegeben werden. Suchet, und ihr werdet finden. Klopfet an, und es
    wird auch aufgetan werden. Denn jeder, der bittet, empfängt, und wer sucht,
    findet, und wer anklopft, dem wird aufgetan werden.“ In diesem
    Augenblick blitzte ein Lichtstrahl unten in der Ebene auf. Er versuchte etwas
    zu erkennen. Doch da war nichts. Nur dieselbe trockene Ebene, auf die er seit
    zwei Tagen hinuntersah.
    Die Sonne versank hinter
    den Bergen. John hatte aus dem Kanister die letzten beiden Becher gefüllt. Er
    hatte gehofft, es sei doch noch mehr Wasser darin, aber er war enttäuscht
    worden. Emmas Zustand hatte sich nicht gebessert. Vor zwei Stunden hatte er sie
    nach draußen getragen, ihr Kreislauf sollte in Bewegung kommen. Doch sie hatte
    nur wieder mit leerem Blick in die Ferne gestarrt.
    Er traf die Entscheidung
    im Morgengrauen nach einer schlaflosen Nacht. Wie in der Nacht zuvor hielt er
    ihre Hand. Und wenn er sie loslassen wollte, fasste ihre Hand seine noch
    fester. Das graue Licht des Morgens ließ ihr blasses Gesicht noch fahler
    erscheinen und entzog ihrem Haar jegliche Farbe. Das leuchtende Weizenblond war
    aschgrau geworden, als ob Emma um Jahrzehnte gealtert wäre. „Emma“, flüsterte
    er und beugte sich zu ihr hinunter. Ihre Augenlider zitterten und öffneten sich
    schließlich. Der fiebrige Glanz war noch immer nicht aus ihren Augen
    verschwunden. Er versuchte seine Stimme so ruhig und zuversichtlich klingen zu
    lassen wie nur möglich.
    „Wir brauchen unbedingt Wasser. Und ich muss nachsehen, ob
    Paul und Hassan Hilfe brauchen. Ich gehe hinüber auf die andere Seite und hole
    welches. Ihnen kann nichts passieren. Am Nachmittag bin ich wieder zurück.“ Er
    lächelte aufmunternd. Auf ihrer Stirn bildeten sich Falten. Ihre Augen
    flackerten plötzlich. „Ich beeile mich“, fügte er hinzu und lächelte immer
    noch. Sie schluckte und ihr Blick wurde ängstlich. Er drückte ihre Hand und
    berührte ganz behutsam ihre Wange. Sie sah ihn verwundert an. „Verzeihen Sie“,
    murmelte er und schluckte. Doch er musste sie weiter ansehen. Da erst merkte
    er, dass sie sich noch immer an den Händen hielten. Er konnte nicht anders, er
    beugte sich zu ihr und berührte mit seinen Lippen ihre Stirn, und dann ... dann
    ihren Mund. Er küsste sie ganz sanft. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt ...
    Ich liebe dich, dachte er, aber er wagte nicht, es auszusprechen. Ihre heiße
    Hand umklammerte die seine.
    „Ich bin schnell wieder
    hier. Keine Angst. Ich komme wieder.“ Wenn ihr etwas geschehen würde, könnte er
    sich das niemals verzeihen. „Herr, vergib mir“, betete er leise. Und zu Emma
    sagte er: „Ich gehe jetzt los. Es wird alles gut werden. Gott ist mit uns.“ Mit
    diesen Worten zog er seine Hand aus ihrer und kroch unter dem Wagen hervor in
    den Morgen. Am Horizont leuchteten die
    Wolken schon purpurn. Je eher er aufbräche, desto früher wäre er zurück.
    Er wollte sich gerade
    aufrichten, als er kaum zwei Schritte vor sich den Schatten einer Bewegung
    wahrnahm. Er fuhr zusammen. Nein, er hatte sich nicht getäuscht: Dort, in der
    Deckung eines niedrigen Buschs, schlängelte sich der schwarze, glänzende

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