Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
rötlich goldene
Farbe der Abendsonne angenommen hatte. Die Männer und die Kamele warfen lange
Schatten voraus, es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne gesunken wäre.
Jetzt schon stand sie tief über der Ebene und machte die niedrigen Büsche viel
größer und dichter, als sie in Wirklichkeit waren. Schließlich hörte sie auch
die Schritte auf dem Sand, die in der Weite nur langsam verklangen.
Hassans Hund war als Erster bei ihr
unten. Fröhlich kläffend sprang er um sie herum und wedelte mit dem Schwanz.
„Paul!“, rief sie wieder. Am liebsten wäre sie zu ihm gelaufen, aber sie war
viel zu schwach. Doch was war mit ihm? Mit einem überraschten und gleichzeitig
misstrauischen Blick musterte er sie, runzelte die Stirn und sagte: „Geht es
dir besser?“ „Ja! Ja!“, antwortete sie. Sie erwartete, dass er sie in die Arme
schloss. Natürlich konnte er das nicht so schnell begreifen, er wusste ja
nicht, was alles geschehen war, wie sie sich verändert hatte, seitdem er
weggegangen war. Doch er näherte sich ihr nur zögerlich. Dann sah er zu John.
Emma folgte seinem Blick. John wirkte bedrückt und sah weg. Pauls Blick kehrte
zu ihr zurück. Er war ... kalt und fremd. Irritiert ließ sie die Arme sinken.
„Gut“, sagte Paul ohne Begeisterung und ohne die Spur eines
Lächelns. „Danken wir Gott.“ Er hielt einen Augenblick inne, drehte sich dann
zu dem Kamel um, das er führte, und rief: „Hoshta!“ Als es nicht parierte,
schlug er mit einer Gerte auf dessen Beine. „Hoshta!“ Auch Hassan befahl den
Kamelen, sich hinzuknien, nur John stand noch unbeweglich da. Jetzt erst sah er
Emma an. „Es geht mir besser“, sagte sie befangen, denn sie dachte an den Kuss.
Er schien ihr Lächeln erwidern zu wollen, doch es gelang ihm nicht ganz.
Irgendetwas hatte ihn verändert, seitdem er losgegangen war. „Kommen Sie“,
sagte sie zu ihm. „Ich muss Ihnen etwas zeigen.“ Sie drehte sich um, ging um
den Wagen herum und deutete auf den Boden. Dort, vor dem Wagenrad, lag die
schwarze Schlange und verdaute ihre Beute, von der nur noch der lange nackte
Schwanz aus dem Maul heraushing. Hassans Hund kläffte die Schlange an, die nur
schwerfällig und langsam zurückzuweichen konnte. Doch der Hund ließ ihr keine
Ruhe, sprang weiter bellend um sie herum.
John war blass geworden.
„Ich habe nicht gedacht dass eine zweite ...“ Er brach ab. „Sie hätte sie töten
können, Emma.“ Emma nahm seine Hände. Halt mich fest, wollte sie sagen, aber
sie wusste, dass sie das niemals würde sagen dürfen. „Sie hat mich nicht
getötet“, sagte sie stattdessen. „Ich danke Ihnen, John, für das, was Sie für
mich getan haben. Ich werde es Ihnen nie vergessen.“ Seine dunklen Augen
brannten sich in die ihren. „Aber ich habe nichts für Sie getan. Ihr Mann hat
das Wasser hergebracht. Und die Schlange konnte ich Ihnen auch nicht vom Leib
halten.“ Er klang niedergeschlagen. „John, Sie sind bei mir geblieben! Sie
haben meine Hand gehalten. Dafür danke ich Ihnen.“ Er lächelte müde und zog
seine Hände weg. „Ich habe es gern getan“, sagte er leise. Dann wandte er sich
schnell ab, griff zum Gewehr, legte an, lud durch und erschoss die Schlange.
Am nächsten Morgen
brachen sie kurz nach Sonnenaufgang auf. Der Himmel war klar, und nur der Sand
auf den Kisten erinnerte noch an den heftigen Sturm. Sie hätten Glück gehabt,
meinte Hassan. Oft dauerten Sandstürme tagelang. Die sechs Kamele schafften es,
den schwer beladenen Wagen den Berg hinaufzuziehen. An der schmalen
Durchgangsstelle blieb das Hinterrad an einem spitzen Steinbrocken hängen und
wäre um ein Haar gebrochen. Doch Hassan konnte die Tiere noch rechtzeitig zum
Stehen bringen und den Wagen umlenken. Als sie schließlich den Sattel des
Gebirges erreichten, hielten sie an. Über der Ebene lag eine weiße
Nebelschicht.
„Er wird bald verschwinden“, erklärte Paul, „die Erde ist noch
zu warm und die Luft zu kalt.“ Trotzdem, als sie in den weißen Nebel
eintauchten, war es für Emma, als beträten sie eine neue, unbekannte Welt. Als
sie sich später auf dem Kutschbock umdrehte und die zerklüfteten Bergspitzen
aus dem Nebel herausragen sah, begriff sie: Dort, auf der anderen Seite des
Hangs, hatte sie etwas zurückgelassen, eine zu eng gewordene Haut. Sie atmete
die klare Luft tief ein und spürte, wie sie sie belebte und sie mit all dem
Leben um sie herum verband. Vor ihr wogten die
Weitere Kostenlose Bücher