Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
wolligen Höcker und Kopfe der
Kamele. Und am Horizont erhoben sich die rötlich leuchtenden Berge aus dem
Nebel. Irgendwo dort lag Stuart. Von da wären es nur noch zwei Tagesreisen nach
Neumünster. Ihr Herz schlug heftiger. Neumünster, dachte sie, sie konnte es
kaum erwarten, dort anzukommen.
Sie sah zu Paul hinüber.
Seit er mit Hassan und John zurückgekommen war, hatte er kaum mit ihr
gesprochen. Auch bemerkte sie, dass er ihrem Blick immer wieder auswich, und
wenn er sie doch ansah, dann glaubte sie, eine tiefe Verunsicherung darin zu
erkennen. Lag es an ihrer Veränderung?
„Was ist mit dir?“
Sofort sah er weg, blickte geradeaus und ließ die Zügel knallen. „Warum fragst
du mich das, Emma? Warum fragst du dich nicht selbst?“ Er wich ihr aus. Sollte
das immer so weitergehen? „Ich denke eher, du bist mir eine Erklärung schuldig“, sagte er schließlich. „Ich?“ Sie
begriff nicht. Er ließ sich Zeit mit der Antwort und knallte mit der Peitsche.
Die Kamele brüllten auf. „Was meinst du, Paul? Ich verstehe nicht ...“ „Nein?
Wirklich nicht?“ Es klang herausfordernd. „Dann will ich es dir erklären: Kaum
bist du mit John allein, wirst du gesund!“ Wieder knallte er mit der Peitsche.
Emma war sprachlos. Was unterstellte er ihr? „Paul, du irrst dich ...“ Weiter
kam sie nicht. „Ich soll mich irren?“, schrie er sie an. „Ich habe Augen im
Kopf!“ Jetzt hieb er mit voller Wucht auf die Kamele ein. „Paul!“ Sie ertrug es
nicht länger. „Hör auf, die Tiere zu quälen! Sie können nichts dafür!“ „Sie
sind faul und störrisch!“, erwiderte er und versetzte ihnen einen weiteren
Schlag. Er hieb immer wieder auf sie ein, bis Emma ihm in den Arm fiel. „Hör
endlich auf!“, schrie sie ihn an. „Hör auf!“ Verstört sah er sie an und ließ
den Arm sinken. Noch nie hatte sie ihn so angeschrien. Schweigend und den Blick
stur geradeaus gerichtet, hockte er auf dem Kutschbock, die Zügel locker in der
Hand. Die Tiere fielen in ihren eigenen Trott.
Und auf einmal lichtete sich der Nebel
und gab den Blick auf eine mit Büschen und Baumgruppen bewachsene Ebene frei,
durch die sich das sandige Bett des ausgetrockneten Finke River wand wie eine
große weiße Schlange.
Am frühen Nachmittag
erreichten sie die Wasserstelle, an der Paul und Hassan den anderen Wagen und
auch die Rinder und Pferde zurückgelassen hatten. Die Tiere hatten sich nicht
von der Wasserstelle entfernt. Am Ufer fanden sie genügend Gräser und Büsche,
sodass sie nicht woanders nach Futter suchen mussten. Auch waren sie wohl zu
erschöpft, um herumzustreifen. Die Wasserstelle lag mitten im sandigen Bett des
ausgetrockneten Finke River. Felsbrocken lagen entlang des Ufers, an dem auch
die hellstämmigen Eukalyptusbäume wuchsen. Emma stellte sich vor, wie einst das
große Binnenmeer mit seinen gewaltigen Wassermassen abgeflossen war, wie es
tosend und donnernd Felsen mit sich riss, bis es irgendwann versiegte, sodass
die Steinbrocken einfach liegen geblieben waren. Sie kletterte vom Wagen, und
sofort sanken ihre Schuhe im feinen Sand eins. Sie bückte sich, um sie
auszuziehen. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass sich hier nach langen oder
starken Regenfällen reißende Fluten hinunterwälzten. Doch das Flussbett war
breit, bestimmt achtzig Meter, wenn nicht sogar mehr, und das Wasser würde die
Ebene überfluten.
Im Schutz mächtiger
Felsbrocken, die Emma an gigantische Eier eines Urlebewesens erinnerten,
schlugen sie im weichen Sand ihr Lager auf. Während Hassan und Paul die Kamele
ausspannten und ihnen wie üblich die Vorderfüße zusammenbanden, nahm John das
Gewehr und verschwand zwischen den Felsen und Bäumen. Emma wollte ihre Kleider
waschen. Das Wasser war so glatt wie ein Spiegel, sodass sie sich darin sehen
konnte. Wie angenehm es sein würde, wenn sie die Hände darin eintauchte. Doch
als sie es tat, bildeten sich Ringe, und ihr Gesicht löste sich auf - gerade
als sie sich erkannt hatte.
13
Schon von weitem konnte
Jalyuri sie zwischen den Bäumen am Rande des trockenen Flussbetts ausmachen.
Die drei Frauen, Isi, Mani und seine Tante, waren schmale, zerbrechliche dunkle
Wesen. Sie bereiteten das Essen vor oder sammelten Beeren und Wurzeln. Der Wind
wehte leise Laute von ihnen heran. Als er näher kam, konnte er ihre Stimmen
hören. Isi, seine erste Frau, bemerkte ihn und verstummte.
„Jalyuri, du bist schon zurück?“ Sie hatte aufhört,
Weitere Kostenlose Bücher