Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Ranges, der in der Mittagshitze violett schimmerte. Und wenn sie
den Hals reckte, sah sie unten in der Ebene die Missionsstation: eine
Ansammlung weißer Würfel inmitten der roten, mit grauen Büschen bewachsenen
Ebene, in der die alten Eukalyptusbäume den gewundenen Verlauf des
ausgetrockneten Finke River markierten. Der Sturm hatte von den Hütten kaum
etwas übrig gelassen. Von hier oben waren nur noch ein paar dunkle Häuflein zu
erkennen.
Emma wusste, dass Männer
und Frauen getrennte heilige Plätze hatten, aber sie hatte nicht gewusst, dass
sie so nah an der Missionsstation lagen. Was wusste sie überhaupt von den
Menschen hier?, dachte sie beschämt. „Ihr habt mich gerettet.“
„Wir haben dich am
Morgen gefunden“, sagte Amboora. Da fiel ihr das Licht wieder ein. Sie hatte es
sich doch nicht eingebildet. Es musste aus dieser Höhle gekommen sein. „Ihr
habt euch vor dem Sturm hier in Sicherheit gebracht?“ Die Frauen nickten.
„Trink!“ Amboora hielt ihr wieder eine Schale mit Wasser hin. Da entdeckte Emma
dort, wo die Frauen saßen, eine Quelle. Zwischen Steinen sprudelte Wasser
hervor und sammelte sich in einer kaum zwei Handflächen großen Mulde. Wie schön
es hier war ... „Danke“, flüsterte sie. Mani senkte den Blick, und auch Amboora
sah sie nicht an. Aber Emma wusste, dass es nicht aus Unhöflichkeit geschah.
Erst jetzt bemerkte sie,
dass Wände und Decke mit Zeichnungen bedeckt waren. Mit weißer Farbe waren
Figuren gezeichnet: Menschen, Tiere und auch Kreise, Linien, Striche ... und
Kreuze. Diese Kreuze an der Wand, wo sie lag, gleich zwei nebeneinander, sahen
aus wie christliche Kreuze, Kreuze in einer Kirche oder auf einem Friedhof
Sollten sie Neumünster symbolisieren? Sie zeigte auf die Stelle an der Wand.
„Was ist das?“ „Mission“, sagte Isi.
Emma betrachtete die
Kreuze genauer. Daneben war ein Mann mit einem Speer in der Hand abgebildet. Es
musste ein Eingeborener sein. Die meisten anderen Figuren waren genauso
gezeichnet. Dieser Mann bohrte seinen Speer in eine andere Figur, eine mit
einem Hut auf dem Kopf ... nein, das war sicher kein Eingeborener. Dieser Hut
sah aus wie die, die John und Paul trugen ... Sie sah Isi an, wagte aber nicht
zu fragen, ob einer ihrer Leute einen Weißen getötet hatte. Doch Isi hatte
ihren Blick aufgefangen und nickte. „Ja. Im Kampf.“ Emma brauchte einen
Augenblick, um zu verstehen. „Jemand von euch hat den Pastor getötet? Hermann
Weiß?“
Isi nickte. Die Frauen
im Hintergrund hatten aufgehört zu murmeln. Es war still geworden, nur die
Quelle sprudelte leise. „Aber warum?“ Emma wandte sich Isi zu, die sich in an
den Rand der Höhle in den Sand setzte und die Beine kreuzte. Dann betrachtete sie
wieder die Zeichnungen zu. Neben dem Eingeborenen mit dem Speer war eine Frau
abgebildet. Sie war sicher, dass es eine Frau sein sollte, denn sie hatte einen
runden Bauch mit einem Kreis darin. Sie war schwanger. Margarete, dachte sie
sofort. Drei Menschen also. Pastor Weiß, ein Eingeborener ... und Margarete.
Die dunkelbraune Haarlocke fiel ihr ein. War es möglich, dass ...
„Hat Margarete einen
eurer Männer geliebt?“ Isi nickte. Plötzlich fielen ihr die Bilder ein, die sie
im Garten ausgegraben hatte. Dieser talentierte Eingeborene, den Pastor Emig in
Tanunda erwähnt hatte ... „Er war Maler, ja?“ Wieder nickte Isi. „Jobolo-Moses,
Bruder von Jalyuri-Petrus.“
Allmählich setzte sich
alles wie ein Mosaik zusammen. Pastor Weiß musste, als er die Verbindung seiner
Frau mit Moses entdeckt hatte, so außer sich geraten sein, dass er die Gemälde
von den Wänden gerissen hatte und rasend vor Wut in die Kirche gestürmt war,
das Kreuz zerschlagen und Satan an
die Mauer geschrieben hatte! Und Paul, dachte sie, hat von Margaretes Beziehung
gewusst! Warum hätte er sonst so heftig auf die Bilder reagieren sollen? So
schmerzhaft die Wahrheit auch wäre, sie wollte jetzt alles wissen. „Lebt
Margarete noch?“, fragte sie voller Hoffnung. Diesmal schüttelte Isi den Kopf.
Sie zeigte zur Missionsstation. „Da! Wir haben sie begraben, wie ihr es macht.“
Emma entdeckte am
gewundenen sandigen Flussbett zwei dicht nebeneinander stehende große
Eukalyptusbäume. Hermann und Margarete Weiß hatten dort ihre ewige Ruhe
gefunden – in einem fremden Land, in das auch sie mit Hoffnungen und
Vorstellungen aufgebrochen waren, die sich nicht erfüllt hatten. „Woran
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