Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
ist
Margarete gestorben?“, fragte sie weiter. „Pastor.“ Emma schluckte. Hermann
Weiß, rasend vor Wut, hatte Moses angegriffen, oder Margarete ... und Moses war
ihr zu Hilfe gekommen und hatte Hermann Weiß ... getötet ...
„Hermann Weiß hat sie
getötet, weil sie ein Kind von Moses bekam?“ Sie sah zu den anderen Frauen, die
mit ernster Miene dasaßen. Einige nickten, auch Isi. Mein Gott, dachte sie, was
hat sich da für eine Tragödie abgespielt! „Wo ist das Kind?“ Diesmal schwieg
Isi. Auch Mani und Amboora antworteten nicht. Sie erinnerte sich an die
Kranken, die zur Missionsstation gekommen waren und um die sich niemand
gekümmert hatte, weil sie Fremde waren. Würden andere Mütter das Kind annehmen? „Isi, ist es auch getötet worden?“,
fragte sie beklommen. Sie fürchtete wieder ein Nicken, doch Isi schüttelte
langsam den Kopf. „Es lebt also noch!“ Da legte Mani ihre Hand auf Emmas Arm.
„Zu spät.“ Emma begriff nicht. „Was meinst du damit?“ Isi und Mani sahen sie
mit ihren schwarzen Augen an. „Gesetze ändern sich nicht“, sagte Isi mit
dunkler Stimme.
Die Berge bleiben, ich werde zu Erde, Baum wird zu Erde ... Emma erinnerte sich, aber was
meinte Isi jetzt? Da kam ihr Amboora zu Hilfe. „Es ist wieder in Ordnung.“
„In Ordnung?“, wiederholte Emma leise, als könne sich so der
Sinn erschließen. In Ordnung ... zu spät ... Es gab nur eine Erklärung:
Das Kind war tot. Das Gesetz hatte es so vorgeschrieben. „Es ist also wieder in
Ordnung?“
Isi, Amboora, Mani, auch
die anderen Frauen nickten erleichtert. Was sollte sie tun? Sie alle des Mordes
bezichtigen, ihnen Gottes Gebot vorhalten: Du sollst nicht töten? Mit welchem
Recht? Diese Menschen hatten ihr das Leben gerettet, sie wäre sonst verdurstet,
sie hatten sie mit an ihren heiligen Ort genommen ... und sie hatten sie auch
hierher gebracht, weil sie wollten, dass sie die Wahrheit erfuhr. Sie hatten
ihr Vertrauen geschenkt. Bestürzt und beschämt zugleich starrte sie in den Sand
vor ihren Füßen.
Die Frauen begannen
miteinander zu reden. Isi beendete mit wenigen kurzen Worten das Stimmengewirr.
Sie ließ ihren Blick über die Ebene und die Berge schweifen und wandte sich an
Emma. „Ich sterbe hier“, sagte sie, „Knochen werden zu Erde. Geist geht zurück
zu meiner Mutter, zu meinem Land.“ Sie sah Emma eindringlich an. „Hier mein
Land, meine Mutter und Mutter der Mutter ... für immer.“
Sie blickte wieder
hinunter in die Weite, und auf einmal verstand Emma. Es ging um das Land, in
dem sie geboren wurden. Sie wollten hier leben, hier sterben, ob mit oder ohne
Missionsstation. Sie drehte sich um und bemerkte, dass auch die anderen Frauen
sie ansahen. Niemand regte sich, niemand sprach. Es herrschte eine geradezu
heilige Stille. Ja, dachte Emma, sie wollten hier leben, weil sie auch hier
sterben wollten, weil hier ihre Ahnen gelebt hatten und gestorben waren. Weil
das ihre Heimat war. Sie dachte an ihre Ahnen, an ihren Vater, an ihre Mutter, an ihre Heimat. Wie arm sie doch war,
wie verloren ... Sie kämpfte gegen die Tränen an, die in ihr aufstiegen. Sie
war allein, ohne Land, ohne Heimat, ohne Mutter, ohne Vater, ohne Mann, ohne
Kind ...
Da spürte sie Isis Hand
auf ihrer Schulter. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Isi wiegte
sie in ihren Armen wie ein Kind.
9
„Es muss ein Ende haben,
Jalyuri“, hatte der Älteste im Rat gesagt, und alle anderen hatten zugestimmt.
Dann war geschehen, was er schon lange befürchtet hatte. „Es ist dein Bruder,
Jalyuri, deshalb musst du es tun.“
Der Älteste hatte nur ausgesprochen, was alle und auch Jalyuri schon wussten.
„Du musst ihn finden und töten, so ist das Gesetz.“ Doch dann hatte Wirinun
noch etwas hinzugefügt. „Du musst auch das Kind töten. Sonst ist es sinnlos.
Während er in einer
Erdmulde kauerte, war der Sturm über ihn hinweggefegt. Die Schmerzen seiner
gebrochenen Zehen nahm er erst jetzt, beim Gehen, wieder wahr. Sie machten ihm
nichts aus. Etwas anderes plagte ihn viel mehr: seine Aufgabe. Du musst es tun,
Jalyuri, hatte der Älteste gesagt. Sonst sterben deine Kinder und wer weiß, wer
noch. Das Sterben wird kein Ende haben, bis die Tat gesühnt ist. Wirinun hatte
genickt. Er hatte zu seinem anderen Gott, dem in der weißen Kirche, gebetet,
doch der hatte ihm keine andere Lösung genannt. Er hatte geschwiegen.
Jalyuri tastete nach dem
Messer in seinem Gürtel.
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