Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Töte es, hatten der Älteste und Wirinun gesagt, und
unser Stamm lebt endlich wieder in Frieden. Jalyuri seufzte. Er wollte nicht
töten, aber er wollte auch nicht seine Kinder sterben lassen und Unheil über
seine Leute bringen. Gesetze sind da, damit das Leben der Menschen und Tiere
und Pflanzen und Steine geordnet ist, wusste er. Ihre Gesetzte waren alt, sehr,
sehr alt, und sie änderten sich nicht. Wenn er sie befolgte, stand er unter dem
Schutz von Baiame, dem Schöpfer. Auch der Gott der Weißen hatte Gesetze
erlassen. Du sollst nicht töten ... ja, das Gesetz kannte er. Aber er war ein
Pintubi, und seine Ahnen waren Pintubi. So schlimm es auch war, er musste es
einfach tun. Sein Kind gegen ein
anderes Kind ... und gegen seinen Bruder.
10
Es dämmerte, als Robert
aufwachte und erleichtert feststellte, dass der Sturm sie verschont hatte. Sein
Schädel drohte zu platzen. Aber er hatte ja gestern schon gewusst, dass es so
kommen würde. Er sah hinüber zu Moses. Der saß aufrecht auf seiner Decke,
starrte auf die Erde und murmelte: „Der Kadaitcha-Mann ist unterwegs.“ „Was
hast du gesagt?“ „Der Kadaitcha–Mann“, murmelte Moses erneut. Robert
versuchte mühsam, in seinem von einer Flasche Whisky benebelten Gehirn etwas zu
begreifen, doch Moses war schon längst wieder auf seine Decke zurückgesunken
und schnarchte, bis ihm klar wurde, was Moses gemeint hatte. Der Kadaichta-Mann
war unterwegs, um ihn zu finden ... und zu töten. Wie kam Moses nur auf diesen
absurden Gedanken?
Während er das nicht
verbrauchte Feuerholz der vergangenen Nacht zusammenlegte und Feuer machte,
versuchte Robert sich daran zu erinnern, wie er Moses kennen gelernt hatte.
Moses war vor etwas geflohen, aber er hatte nie gesagt, wovor, und Robert hatte nie danach gefragt. Ein
hoffnungsvoller Maler, so hatte Mr. Miller in Stuart ihm Moses vorgestellt, und
Robert hatte sofort Respekt und Achtung vor diesem Mann empfunden, von dem eine
natürliche Würde ausging, die nur die Menschen besaßen, die sehr, sehr weise
waren und dennoch ihre Lebensfreude nicht verloren hatten. Und als Robert zwei
Gemälde von ihm gesehen hatte, da war ihm das außergewöhnliche Talent dieses
Mannes aufgefallen, der nie eine Kunstakademie, nie ein Museum oder eine
Galerie besucht hatte. Moses konnte ihm die alten Geschichten der Ahnen
erzählen, konnte ihm erklären, woher ein bestimmter Berg oder Felsen seinen
Namen hatte, er konnte Spuren lesen und verirrte sich nie, aber gemalt hatte er
nie wieder. Dann war da dieses Baby gewesen. Moses hatte es schon bald erwähnt,
wenige Tage nachdem sie von Stuart losgefahren waren.
Das Feuer brannte.
Robert füllte den Teekessel aus dem Kanister und stellte ihn ins Feuer. „Wir
müssen das Kind retten“, hatte Moses damals gesagt, und Robert war, da er
sowieso kein bestimmtes Ziel hatte, mit ihm zur Missionsstation Neumünster gefahren,
wo Moses aufgewachsen war. Die Mission war schon verlassen gewesen, und obwohl
man in Stuart einen Suchtrupp losgeschickt hatte, hatte man keine Spur von den
Missionaren gefunden. Als Moses das Baby von der Eingeborenen wegholte, hatte
Robert sich nicht einmischen wollen. Nur als Moses ihn gebeten hatte, das Kind
bei Ida Standley im „Bungalow“ in Stuart abzugeben, hatte er gezögert. Wie
sollte er ein dunkelhäutiges Baby erklären? Er hatte es der Einfachheit halber
als sein eigenes ausgegeben.
„Bob!“ Moses war wieder aufgewacht. „Der Kadaitcha-Mann ...“
Schon richtete er sich wieder auf, doch Robert legte ihm die Hand auf die
Schulter. „Er wird dir nichts tun. Ich pass’ auf dich auf.“
Moses schüttelte den
Kopf. Seine großen schwarzen Augen glänzten fiebrig. Und auf seiner Stirn
standen Schweißperlen. „Das kannst du nicht“, sagte er kraftlos. „Niemand kann
den Kadaitcha-Mann aufhalten, Robert. Ich muss sterben.“ „Du bist ein
verdammter Dickkopf, Moses!“ Was sollte er nur tun? „He, wir hauen ab!“ Schon
richtete er sich auf, „Komm schon, wir fahren einfach weiter hoch in den
Norden. Wir könnten ...“ Moses’ Kopfschütteln ließ ihn abbrechen. „Ich kann
nicht davonlaufen.“
„Wie, du kannst nicht?
Klar kannst du. Jeder kann davonlaufen, wenn es ums Überleben geht!“ Robert
goss Tee in zwei Becher, gab einen davon Moses, doch der drehte den Kopf weg.
„Warum holst du dir dein Kind nicht zurück?“, versuchte es Robert weiter.
Ein kurzes Lächeln flog
über Moses’
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