Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
ziehen.
Prüfend hielt sie das nasse
weiße Hemd gegen die Sonne. Seifenlauge lief an ihren nackten Unterarmen
hinunter, rann ihr bis unter die Achseln, wo es unangenehm kitzelte. Sie konnte
keinen Fleck erkennen, es wirkte, als ob es aus sich selbst heraus strahlte.
Sie wrang das Hemd aus und hängte es in denselben Baum, in dem sich ihre
beigefarbene Bluse schon in mehreren Zweigen verheddert hatte. Eine helle Spur
aus wimmelnden, krabbelnden Körpern zog sich von der Erde über den Stamm bis zu
dem Ast hinauf, an dem ihre Bluse hing. Weiße Ameisen! Sie hatte von ihrem
ungeheuren Appetit auf Holz gehört. Die Holzmasten der Telegrafenlinie hatten
schon kurz nach ihrer Aufstellung gegen metallene ausgetauscht werden müssen,
weil die weißen Ameisen sie buchstäblich auffraßen, hatte sie gelesen.
Neugierig beobachtete sie die Ameisen, wie sie bis zu den Wassertropfen
krabbelten, die von ihrer Bluse auf die Zweige gefallen waren, und dann kehrt
machten. Woher waren die Ameisen so rasch gekommen, hier in dieser weiten
Wüste? Sie beobachtete sie eine Weile und nahm sich das letzte Hemd vor.
Während sie die Seifenlauge über den weißen Stoff bürstete, dachte sie an zu
Hause, wie sie ihrer Mutter beim Wäschewaschen geholfen hatte, und seufzte.
Nannte man dieses Gefühl der Schwere, das einen bei der Erinnerung an zu Hause
befiel, Heimweh? Gehörte der Kloß im Hals dazu und die Träne, die über ihre
Wange rann? Entschieden wischte sie sie ab und hängte gewissenhaft und
sorgfältig das tropfende Hemd auf den Zweig.
2
Hassan hatte aus drei
Baumstämmen einen provisorischen, nach einer Seite hin offenen Windschutz
gebaut. Die beiden Wagen standen hinter dem Wall und würden weiteren Schutz vor
dem kalten Wind bieten, der am Abend häufig aufkam. Ein Zelt hatten sie nur in
der ersten Nacht für Emma und Paul aufgeschlagen. Doch Paul war mitten in der
Nacht aufgestanden und hatte draußen weitergeschlafen, „unter dem Firmament“,
wie er erklärt hatte. Für sie allein wollte sie das Zelt auch nicht aufbauen
lassen – sie fürchtete nächtliche Besuche ihres Mannes. Draußen, so
dachte sie, würde er es nicht wagen, mit ihr zu schlafen.
Noch war die Dämmerung
nicht hereingebrochen, aber schon ergrauten die Farben: das Gelb der Erde, das
Graugrün der Büsche und das Braunblau des Wasserlochs. Heute wehte kaum Wind.
Die Flammen des Lagerfeuers umhüllten ruhig und beständig die Äste, bis sie
aufglühten, langsam verkohlten und schließlich leise ächzend zu Asche
zerfielen.
Der Billy, ein
zerbeulter Teekessel aus Blech, stand auf einem flachen Stein neben dem Feuer.
Emma hatte schon zwei Tassen schwarzen Tee getrunken, den sie zu Hause –
obwohl sie wahrlich nicht verwöhnt war – nicht angerührt hätte. Aber hier
nahm sie den brackigen, bitteren Geschmack hin. Bis gestern noch hatte er ihr
geholfen, das stark gesalzene und auf diese Weise konservierte gebratene
Fleisch herunterzubekommen. Doch seit dem Morgen konnte sie es nicht mehr
riechen. John hatte davon gesprochen, den Speiseplan um frisches
KänguruFleisch zu bereichern, doch bisher hatte sich weder ein Känguru gezeigt
noch hatte sich eine Gelegenheit zum Jagen ergeben.
John lehnte, in eine
Decke eingehüllt, an einer Kiste und las in der Bibel. Den Hut, der ihn sonst
vor der Sonne schützte, hatte er abgesetzt. Sein frisch gewaschenes Haar war
ordentlich gekämmt. Auf der anderen Seite der Wasserstelle spazierte Paul mit
nachdenklich gesenktem Kopf unruhig zwischen den grasenden Rindern umher.
Hassan und sein Dingo-Hund waren nirgendwo zu sehen. Emma wusste, wenn sie sich
jetzt zum Schlafen hinlegte, würde sie mitten in der Nacht hellwach sein. Und
es gab für sie nichts Schlimmeres, als endlose Stunden in die undurchdringliche
Dunkelheit zu starren, wo ihre Phantasie plötzlich schauerliche Gestalten
erkannte und unheimliche Geräusche vernahm. Sie sollte sich waschen, das hatte
sie sowieso den ganzen Tag schon vorgehabt.
Sie trank den letzten
Schluck aus ihrer Blechtasse, stellte sie für später neben das Feuer, stand
auf, ging zum Wasserloch, tauchte einen Eimer hinein und schleppte ihn zu einer
mit Tüchern geschaffenen Kabine zwischen den beiden Wagen. Dort zog sie sich
aus, hängte die Kleider über die Wände aus Tüchern und wusch sich gründlich.
Wie gut das tat, sich einzuseifen, dann das kühle Wasser über ihre Haut rinnen
zu lassen und zu spüren, wie der sanfte
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