Das Licht der Phantasie
man bezeichnete sie als Zauberer. Wenige Auserwählte begegneten Umcherrel, der Seele des Waldes, und sie sind als Geistmeister bekannt. Aber wer behauptet, eine Truhe mit Hunderten von Beinen habe ihn ohne Augen angestarrt, muß ein Idiot…«
Es gab mehrere Gründe dafür, daß sich der alte Schamane unterbrach: ein jähes Kreischen, ein plötzliches Schneegestöber, Funken, die durch die dunkle Hütte tanzten. Konturen verwischten sich und die gegenüberliegende Wand wurde zerfetzt, bevor sich die Erscheinung verflüchtigte.
Langes Schweigen folgte. Dann ein kürzeres. Schließlich bemerkte der alte Schamane langsam: »Du hast nicht zufällig gerade zwei Männer gesehen, die verkehrt herum auf einem Besen hockten und sich gegenseitig anschrien, als sie durch die Hütte flogen?«
Der Novize sah ihn ruhig an. »Natürlich nicht«, erwiderte er. Der Greis seufzte erleichtert. »Ich auch nicht, den Göttern sei Dank«, sagte er.
I m Knusperhäuschen herrschte das reinste Chaos: Die Zauberer wollten dem fliegenden Besen folgen und sich zur gleichen Zeit gegenseitig daran hindern. Was verständlicherweise zu einigen bedauerlichen Zwischenfällen führte. Der spektakulärste – und sicher auch tragischste – geschah, als ein Seher versuchte, seine Siebenmeilenstiefel ohne die notwendigen Zaubersprüche und Vorbereitungen zu benutzen. Es wurde bereits an anderer Stelle erwähnt, daß solche Stiefel bestenfalls eine recht knifflige Form der Magie darstellen. Nun, der betreffende Magier erinnerte sich zu spät daran, daß äußerste Vorsicht bei der Verwendung thaumaturgischer Hilfsmittel geboten ist, die einen Menschen in die Lage versetzen, einen Fuß sieben Meilen weit vor den anderen zu setzen.
D ie ersten Schneestürme des Winters tobten, und über dem größten Teil der Scheibenwelt hatte sich eine entsprechend dichte Wolkendecke gebildet. Doch wenn man sie von weit oben betrachtete, im silbernen Licht des kleinen Mondes, so bot sie einen der herrlichsten Anblicke im ganzen Multiversum.
Hunderte von Meilen lange Wolkenfahnen flatterten vom Wasserfall am Rand bis zu den Bergen in der Mitte. In der kalten, kristallenen Stille glitzerte die riesige Spirale wie pulvriges Eis und drehte sich majestätisch im Licht der Sterne – so als habe der Schöpfer gerade Seinen Kaffee umgerührt und die Schlagsahne hinzugegeben.
Nichts störte die erhabene Ruhe, die…
Ein kleines Objekt in der Ferne durchbrach die dicke Wolkenschicht und zog Dunstsplitter hinter sich her. Schrilles Gezänk störte den stratosphärischen Frieden.
»Du hast gesagt, du könntest mit einem fliegenden Besen umgehen!«
»Von wegen. Diese Behauptung stammt von dir!«
»Aber dies ist mein erster Flug auf einem Besenstiel!«
»Ach, nein, was für ein Zufall!«
»Wie dem auch sei: Ich erinnere mich deutlich daran, daß du gesagt hast… Sieh dir den Himmel an!«
»Solche Worte sind mir nie über die Lippen gekommen.«
»Was ist mit den Sternen passiert?«
Und so kam es, daß Rincewind und Zweiblum die ersten Bewohner der Scheibenwelt waren, die erfuhren, was die Zukunft bereithielt.
Tausend Meilen hinter ihnen ragte Cori Celesti zum Gewölbe des Firmaments empor und warf einen messerscharfen Schatten auf die träge Wolkenmasse. Die Götter hätten eigentlich aufmerksam werden müssen – doch für gewöhnlich schenkten sie dem Himmel keine Beachtung, und außerdem stritten sie sich gerade wieder mit den Eisriesen, die sich weigerten, ihr Radio leiser zu stellen.
Randwärts, in Reiserichtung Groß-A'Tuins, hatte jemand die Sterne vom Himmel gewischt.
In der leeren Schwärze glühte nur eine einzige Sonne, rot und ziemlich unheilvoll – ein Stern, dessen Gleißen so teuflisch war wie das Blitzen in den Pupillen eines tollwütigen Wildschweins. Und Groß-A'Tuin trug die Scheibenwelt dem gräßlichen Dämonenauge entgegen.
Rincewind wußte genau, worauf es in solchen Situationen ankam. Er schrie und lenkte den Besen nach unten.
G alder Wetterwachs stand in der Mitte des Oktagramms und hob die Arme.
»Urshalo, Dileptor, C’hula – ich unterwerfe euch meinem Willen!« Über ihm formte sich eine kleine Dunstwolke. Galder drehte kurz den Kopf und sah Trymon an, der verdrießlich am Rande des magischen Kreises wartete.
»Jetzt wird’s erst richtig interessant«, sagte der ältere Zauberer. »Hör genau zu. Kot-b’hai! Kot-sham! Zu mir, ihr Geister von kleinen, an Einsamkeit leidenden Steinen und sorgenvollen, nicht
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