Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
losgeschickt hatten. Ich dachte mir, ich sollte vielleicht lieber mal nach meinem geliebten Söhnchen sehen, das sonst vielleicht ohne meine Hilfe auf die Fresse knallt. Also, mein Sohn, bist du auf die Fresse gefallen, und in welchem Schlamassel steckst du?«
Neal fing von vorne an und erzählte Graham alles, angefangen mit dem Ausflug in Zimmer 1016, seinem Tanz mit dem Hantel-Mann, der Fahrt nach Mill Valley, dem Essen bei Kendalls, Li Lans Versuch, ihn zu verführen, dem Schuß, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Graham hörte sich den ganzen Monolog an, schnalzte nur manchmal mit der Zunge oder murmelte: »Also wirklich!«, wenn Neal von seinen peinlichen Fehlern berichtete.
Als Neal fertig war, fragte Graham: »Und wie sah sie nackt aus?«
»Wie bitte?«
»Das Mädel. Die China-Puppe. Wie sah sie in Fleisch und Blut aus?«
»Mein Gott, Graham.«
Graham ging zur Minibar und holte sich zwei Miniflaschen Scotch. Er wischte ein Hotelglas mit dem Taschentuch sauber, goß sich ein und nippte an dem Whiskey.
»Erzähl noch mal. Vom Jacuzzi an.«
»Graham, wenn du glaubst, ich würde hier sitzen und deine Jungfräulichkeit beenden…«
Graham schnitt eine seiner fiesesten Grimassen. »Und laß ja kein schönes, saftiges Detail aus«, sagte er.
Als Neal mit der Wiederholung fertig war, schüttelte Graham den Kopf und sagte: »Sie wollte es dir nicht besorgen. Sie hat dich nur abgelenkt, damit Pendleton in Ruhe in den Wagen steigen konnte.«
»Was soll das heißen?«
»Sie hat doch gesagt, du sollst warten, nicht? Als du nicht wolltest – was ich übrigens reichlich schwachsinnig finde –, hat sie dir etwas geboten, um dein, äh, Hirn zu beschäftigen, bis alle schön brav im Auto saßen. Dann ist sie davongerannt und hat dich mit leeren Händen sitzenlassen.«
Neal fragte sich, ob er so dämlich aussah, wie er sich fühlte.
»Du glaubst gar nicht, daß sie Sex mit mir haben wollte?«
»Na ja, du warst nackt, wahrscheinlich hat sie dich genauer angeschaut.«
»Und der Schuß? Sie hat mich doch geradezu in Position gebracht!«
Graham ging wieder zur Minibar, fand eine Sechs-Dollar-Dose Rauchmandeln und kippte sie auf einen kleinen Teller. Während er weiterredete, stopfte er sich die Mandeln in den Mund.
»Vielleicht hat sie, vielleicht hat sie nicht. Vielleicht wußte auch keiner von ihnen etwas von dem Schützen.«
»Sie ist weggerannt!«
»Nicht dumm, wenn man beschossen wird. Was hätte sie tun sollen, dich mit ihrem Körper schützen? Na klar, das hätte dir gefallen.«
»Gib mir ‘ne Mandel.«
»Such dir dein eigenes Essen.«
»Das ist mein Essen.«
»Jetzt nicht mehr.«
Neal suchte sich einen Schokoladenriegel, der so teuer war wie ein Silberbarren.
Graham sagte: »Wenn du mich fragst, ich glaube nicht mal, daß sie den Schuß gehört hat. Sie ist weggerannt, weil das ein Teil des Plans war. Sie sollte dich heißmachen, damit du nicht mehr ordentlich denken kannst – wiederum kennt sie dich nicht so gut wie ich –, und dich dann nackt im Jacuzzi sitzen lassen. Keine Klamotten, kein Handtuch. Sehr geschickt von dir, mein Sohn, muß ich sagen. Und ich glaube auch nicht, daß die Kugel für dich bestimmt war, so schmeichelhaft die Vorstellung auch sein mag.«
»Warum nicht?« fragte Neal. Er hörte sich beinahe beleidigt an, fiel ihm auf. Plötzlich war er nicht mehr wichtig genug, um beschossen zu werden.
»Sie hätten dich jederzeit hopsnehmen können. Die Braut mußte dafür nicht diese Show abziehen. Sie hätten dich abknallen können, kaum daß du in dem Bottich saßest.«
»Aber, wer…« fing Neal an, dann verstummte er, weil er nicht gleichzeitig reden und denken konnte. Warum hatte AgriTech gesagt, Pendleton sei da, wenn er es nicht war? Vielleicht, weil sie dachten, Pendleton sei tot?
»Ich habe Ed angerufen«, sagte Neal. »Er sagte, Pendleton sei zurückgekehrt, und ich sollte es ihm gleichtun.«
»Und?«
»Und ich habe AgriTech angerufen, die mir dasselbe erzählt haben.«
»Dann hat Ed zur Abwechslung also mal recht. So was kommt vor.«
»Aber Pendleton ist nicht zurück, Dad.« Er erzählte von seinem Trick mit den Arzneien. Graham rieb seine Plastikhand in der anderen.
»Ich glaube«, sagte Graham schließlich, »wir müssen mehr über AgriTech herausfinden.«
Mit AgriTech stimmte etwas nicht.
Das verriet die Bibliothek. Was Neal an Bibliotheken liebte war, daß sie alle gleich waren – nicht der Aufbau oder die Architektur oder der Teppichboden,
Weitere Kostenlose Bücher