Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
sagen?«
»Nein, danke.«
Knuckey warf ihm einen Blick zu. Er schickte sich schon zum Gehen an, als Tom sagte: »Darf ich meiner Frau schreiben?«
»Natürlich dürfen Sie Ihrer Frau nicht schreiben, verdammt. Sie können keinen Kontakt zu potenziellen Zeugen haben. Auch Sie müssen sich an die Regeln halten, mein Junge.«
Tom betrachtete ihn. »Nur ein Stück Papier und einen Stift. Sie können es auch lesen, wenn Sie wollen … Schließlich ist sie meine Frau.«
»Und ich bin die Polizei.«
»Behaupten Sie jetzt nicht, Sie hätten nie gegen eine Vorschrift verstoßen oder für einen armen Teufel ein Auge zugedrückt … Nur ein Stück Papier und einen Stift.«
Am Nachmittag brachte Ralph Isabel den Brief, den sie widerstrebend und mit zitternder Hand entgegennahm.
»Dann lasse ich dich mal allein, damit du ihn lesen kannst.« Er tätschelte ihr den Unterarm. »Der Mann braucht deine Hilfe, Isabel«, fügte er ernst hinzu.
»Mein kleines Mädchen auch«, erwiderte sie mit Tränen in den Augen.
Nachdem er fort war, ging sie mit dem Brief in ihr Zimmer und starrte darauf. Als sie ihn ans Gesicht hob und daran schnupperte, um noch eine Spur von ihrem Mann zu riechen, war nichts wahrzunehmen – überhaupt nichts. Sie griff zur Nagelschere, die auf dem Frisiertisch lag, und begann, die Ecke des Umschlags aufzuschlitzen. Doch etwas ließ ihre Finger erstarren. Sie hatte das Gesicht der schreienden Lucy vor Augen, und das Wissen, dass Tom schuld daran war, ließ sie erschaudern. Isabel legte die Schere weg, verstaute den Brief in einer Schublade und schloss sie langsam und lautlos.
Ein Kopfkissen, von Tränen durchnässt. Der sichelförmige Mond, der im Fenster schwebt, ist zu schwach, um auch nur seinen Weg über den Himmel zu beleuchten. Hannah beobachtet ihn. In der Welt gibt es so vieles, was sie gerne mit ihrer Tochter teilen würde. Doch das Kind und die Welt sind ihr entrissen worden.
Sonnenbrand. Im ersten Moment wundert es sie, dass ihr aus heiterem Himmel etwas so Unwichtiges einfällt. Eine englische Gouvernante, die noch nie von einem Phänomen namens Sonnenbrand gehört hatte – geschweige denn davon, wie man ihn behandelte –, hatte sie in die heiße Badewanne gesteckt, um der Verbrennung »die Hitze zu entziehen«. Hannah hatte sich den Sonnenbrand geholt, als sie in Abwesenheit ihres Vaters zu lange in der Bucht geschwommen war. »Meckern ist zwecklos«, hatte die Frau die Zehnjährige getadelt. »Die Schmerzen sind gut für dich.« Hannah hatte geschrien, bis endlich die Köchin kam, um nachzusehen, ob jemand ermordet wurde, und sie aus dem dampfenden Wasser gezogen hatte.
»Das ist ja wohl der größte Unsinn, den ich je erlebt habe!«, empörte sich die Köchin. »Das Dümmste, was man mit einer Verbrennung machen kann, ist, sie auch noch zu verbrühen. Um das zu wissen, braucht man nicht Florence Nightingale zu sein!«
Doch Hannah war der Frau, wie sie sich erinnerte, nicht einmal böse gewesen. Sie hatte ihr Bestes versucht und ihr mit den Schmerzen nur helfen wollen.
Plötzlich zornig auf den schwächlichen Mond, schleudert sie ihr Kissen durchs Zimmer und drischt mit der Faust auf die Matratze ein. »Ich will meine Grace zurück«, flüstert sie unter Tränen. »Das ist nicht meine Grace!« Also war ihr Baby doch gestorben.
Tom hört das Klappern von Schlüsseln.
»Guten Tag«, sagt Gerald Fitzgerald, als Harry Garstone ihn hereinführt. »Entschuldigen Sie die Verspätung. Der Zug ist kurz vor Bunbury mit einer Schafherde in Konflikt geraten. Das hat uns ein wenig aufgehalten.«
»Ich habe keine Eile.« Tom zuckte die Achseln.
Der Anwalt sortierte seine Unterlagen auf dem Tisch. »Die Anhörung ist in vier Tagen.«
Tom nickte.
»Haben Sie Ihre Meinung geändert?«
»Nein.«
Fitzgerald seufzte auf. »Worauf warten Sie noch?« Als Tom ihn ansah, wiederholte er: »Worauf warten Sie, verdammt? Auf den rettenden Engel vielleicht? Niemand wird Sie retten außer mir. Und ich bin nur hier, weil Captain Addicott meine Rechnung bezahlt.«
»Ich habe ihn gebeten, sein Geld nicht zu vergeuden.«
»Es muss nicht als Geldverschwendung enden! Lassen Sie mich mein Honorar doch verdienen.«
»Wie?«
»Indem ich sage, wie es wirklich war. Dann haben Sie die Chance, als freier Mann aus dem Gerichtssaal zu spazieren.«
»Sie glauben, ich könnte je frei sein, wenn ich das Leben meiner Frau zerstöre?«
»Ich finde nur, dass wir, was die Hälfte der Anklagepunkte angeht, triftige
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