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Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)

Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)

Titel: Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janika Nowak
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nach, sondern taumelte zur Treppe und lief nach unten. Die Trauer würgte mich. So ähnlich hatte ich mich gefühlt, als ich bei Thomas im Auto gesessen hatte – kurz nachdem ich Bettina hatte sterben sehen.
    Ich ging zur Haustür, öffnete sie und trat nach draußen. Etwas zog mich zu einem der Fenster des Nebengebäudes – in dem die Besitzer des Gasthofes lebten. Aus dem Summen wurde ein Lied, genau das Lied, das ich in meinen Träumen gehört hatte. Das erste Mal nahm ich es wirklich bewusst wahr. Es war eine schöne, allerdings traurige Melodie. Ich wusste auf einmal, dass ich für die alte Dame sang, die bei unserer Ankunft im Rollstuhl neben dem Haus gesessen und in die Sonne geblickt hatte. Madame Marlot. Ihr blieben nur noch wenige Tage, wenn nicht sogar nur Stunden. Mein Herz zog sich zusammen.
    Ich sang die Melodie genau dreimal, dann knickten mir die Knie ein, und ich lehnte mich an die Hauswand. Mir war elend zumute, und ich wollte nur noch heulen. Ich umklammerte meine Knie, legte den Kopf auf meine Armbeugen und begann leise zu weinen.
    Auf einmal hörte ich vor mir etwas knirschen. Erschrocken blickte ich auf. Es war Pheme.
    »Ich … ich …« Das Schluchzen machte es mir unmöglich, irgendeinen vernünftigen Satz hervorzubringen.
    »Schsch«, machte die Nymphe und setzte sich neben mich. »Du hast jemandem im Haus den Tod prophezeit, nicht wahr?«
    Ich nickte beklommen.
    Pheme legte mir die Hand auf die Schulter, dann zog sie mich an sich.
    »Schon gut, Kleines. Weine ruhig. Das ist dein Erbe und deine Bestimmung.«
    Sie hielt mich fest, während ich schluchzte. Ich spürte irgendwann, wie der Nachtwind über meine Wangen strich, als wollte auch er mich trösten. Das Element der Aither.
    Als die Tränen versiegt waren, fragte ich Pheme: »Wird es von jetzt an immer so sein? Werde ich von Haus zu Haus irren und jeden Toten beweinen?«
    »Nicht jeden«, antwortete sie. »Das verlangen die Götter nicht von dir. Aber bei Menschen in deiner Nähe wird das schon der Fall sein.«
    Wenn das so war, sollte ich besser in ein kleines Kaff umziehen. Nach Berlin konnte ich schlecht zurückkehren, selbst in den ruhigsten Stadtgebieten lebten zu viele Menschen. Jetzt konnte ich auch noch mein normales Leben beweinen, denn egal wie das hier ausging, zurück konnte ich nicht.
    »Wenn ich ehrlich bin, habe ich zum ersten Mal den Gesang einer Banshee gehört«, fuhr Pheme fort, denn sie spürte, dass mir nicht nach Reden zumute war. »Von euch gab es nicht mehr viele. Vielleicht bist du die Letzte.«
    »Und wenn ich sterbe?«
    »Dann wird niemand mehr die Toten beweinen. Ich glaube, das war es, wofür dich Aither geschaffen hat. Damit um die Toten, die sonst niemanden haben, wenigstens einer ehrlich trauert.«
    Ich ließ den Kopf auf Phemes Schulter sinken, und schweigend sahen wir auf in den Sternenhimmel. Ich fand diesen Teil des Jobs zwar immer noch schrecklich, aber durch Phemes Worte fühlte es sich … richtig an. Auch wenn die Trauer weh tat, die alte Frau hatte sie verdient.
    »Wir sollten wieder reingehen, ehe wir uns den Tod holen.«
    Ich hatte auch keine Lust mehr, hier draußen zu sein. Ich hatte meine Pflicht getan.
    Erst beim Reingehen wurde mir bewusst, dass ich einer Tochter hiermit eine extrem peinliche Vision vermachen würde. Während meine Vorfahrinnen in meinen Träumen alle so würdevoll dahergeschritten waren, in wallenden Gewändern und mit wehendem Haar, würde sie mich voller Panik in einem ausgeleierten T-Shirt die Treppe runterstolpern sehen. Konnte man solche Erinnerungen in den Echos nicht löschen?

    Am nächsten Morgen hätte ich am liebsten auf das Frühstück verzichtet, denn ich wollte gar nicht wissen, ob die alte Madame Marlot die Nacht überlebt hatte. Allein der Gedanke daran brachte mich wieder zum Heulen. Doch die anderen, vor allem Pheme, bestanden darauf, dass ich mit ihnen runterging.
    »Selbst wenn du hungrig mit uns fahren würdest, würde es nichts ändern. Also komm und schlag dir den Magen voll. Die Wirtsleute werden sich nichts anmerken lassen, und du solltest das auch nicht.«
    »Was, wenn sie mich gehört haben?«
    »Dann haben sie es sicher für das Raunen des Windes gehalten.« Damit wandte sie sich um und stapfte zur Treppe.
    Ich folgte ihr nach einer Weile, und als ich schließlich mit den anderen am Frühstückstisch saß, bereute ich es nicht mehr. Das Essen sah einfach toll aus. Es gab Croissants, Brötchen, verschiedene Sorten Marmelade, Eier,

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